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awogfli

Posted on 15.3.2021

Unkrautgourmetbuch für moderne Jäger- und Sammler*innen Pünktlich zum Frühlingsanfang möchte ich Euer Augenmerk auf ein ganz besonderes Kochbuch legen, das sich mit Zutaten beschäftigt, die in der Stadt und auf dem Land überall am Wegesrand herumstehen, meist von Rasenbesitzern fanatisch mit Gift bekämpft werden und die wir abwertend auch als „UN“-Kraut bezeichnen. Mit diesen Ingredienzien, die nicht nur gratis zu beschaffen sind, gut schmecken und zudem auch sehr gesund sind, lassen sich höchst feine, delikate Speisen kreieren. Als Hotelfachschulabsolventin und deshalb in meinem Erstberuf auch als gelernte Köchin, nenne ich ja ungefähr zweihundert Kochbücher mein Eigen, und da ist es schon eine Besonderheit, wenn mich ein neues Kochbuch noch dermaßen triggert, dass ich es einem breiten Publikum unbedingt ans Herz legen möchte. Das ist mir bei Wildes Wien passiert, das nicht nur ein Kochbuch mit Rezepten darstellt, sondern auch als Sachbuch für Unkrautkunde, zur Bestimmung der Kräuter dient und ebenso als Wanderführer, wo man in der Stadt Wien diese Pflanzen dann auch wirklich finden kann. Ganz liebevolle historische Geschichten zum Unkraut mit großartigen Bildern und Ansichten der Stadt verleiten zu einem Spaziergang mit integrierter Kräutersammlung: von der Bestimmung der Pflanzen mit gegebenenfalls notwendiger Unterscheidung zu giftigen oder ungenießbaren ähnlichen Kräutern über die Identifikation der Lokalität, in der das Unkraut in Wien zu finden ist, bis zur anschließenden Verwertung in den köstlichsten Rezepten. Dabei werden nicht nur der übliche Löwenzahn und die Gänseblümchen zur Deko auf den Salat geschmissen, der derzeit wachsende Bärlauch traditionell zu einem Pesto verarbeitet und die Brennnessel zum typisch österreichischen Spinatgericht verkocht, sondern die angebotenen Rezepte von bereits bekannten Wildkräutern strotzen nur so vor innovativen Anwendungen. Zudem werden auch Exoten wie Schafgarbe, Giersch, Gundelrebe, Quendel, Spitzwegerich, Vogelmiere, Weißer Gänsefuß, Wilder Hopfen, Lindenblätter, Wilder Amarant, Rotklee-Blüten, Kanadische Goldrute, Berberitze, Hagebutte, Holunderblüte, Sanddorn, Veilchen und viele mehr zu köstlichsten Gerichten verarbeitet. Ein Beispiel für die besonderen Innovationen im Rahmen der Rezepte möchte ich Euch sofort geben, denn die Bärlauchsaison hat Anfang März begonnen. Wozu in die Ferne schweifen, wenn das Gute liegt so nah … wie wäre es, einmal Bärlauchblätter anstatt der Nori-Algen für das Sushi zu verwenden? Schaut gut aus, ist regional und saisonal, kostet nix und verströmt zudem diese ganz feine, frische, wilde Knoblauchnote, die hervorragend zu Fisch und Meeresfrüchten passt. Bei mir steht das Rezept irgendwann in den nächsten zwei Wochen auf dem Speiseplan. Einige von Euch werden sich jetzt fragen und dabei schaudern: Igitt, Stadtkräuter mit Hundegacksi (Kot) beschmiert und neben der achtspurigen Autobahn geerntet, das kann nicht funktionieren. Denen möchte ich sagen, Wien ist eine sehr grüne Stadt mit vielen Parks und Anlagen, in denen teilweise gesündere Pflanzen geerntet werden, als am Land. Wahrscheinlich gibt es in vielen deutschen Städten ebensolche Ecken. Das Buch weist gleich zu Beginn darauf hin, wo auf keinen Fall gepflückt werden soll und auch, wo es in Wien verboten ist, zu pflücken, da man sich in einem Landschaftsschutzgebiet befindet. Auch für Leute vom Land und aus anderen Städten ist das Kochbuch Wildes Wien sehr relevant, denn das kulinarisch komplett unterschätzte Unkraut wächst einfach überall in Österreich, Deutschland und der Schweiz. Zwei Kritikpunkte habe ich aber dennoch. Zum Spazierengehen hätte ich mir als kompletter Laie in Sachen Pflanzen- und Unkrautkunde unbedingt ein kleines Heftchen mit Fotos zum Bestimmen aller Kräuter, die im Sachregister erwähnt werden, als Beilage für die Handtasche gewünscht. Das fehlt total, denn das große Buch ist zum Mitnehmen einfach zu unhandlich, und um am Handy sinnvoll recherchieren zu können, muss man wiederum wissen, beziehungsweise eine ungefähre Ahnung haben, wonach man eigentlich sucht. Zusätzlich hätte ich auch gerne noch als Nicht-Wienerin eine detaillierte Wien-Karte mit dem Hinweis, wo in der Stadt die Locations sind, quasi einen Unkraut-Lehrpfad für die Handtasche durch die Stadt gehabt. Denn, wenn ich mich dann mal zu diesem Unkraut-Spaziergang durch Wien aufraffe, wäre ich gerne besser vorbereitet. Vielleicht kann man diese beiden strukturellen Hilfen noch nachliefern oder auch online anbieten. Fazit: Eine äußerst gelungene Mischung aus Kräuterbuch, Kochbuch, Wanderplan und spannenden historischen Abrissen zu Gebäuden, Unkraut und Rezepten für die modernen urbanen aber auch ländlichen Jäger- und Sammler*innen, die sich nach erfolgreicher Nahrungsbeschaffung auch noch in die Küche stellen, um Köstlichkeiten zu kreieren. Nachhaltigkeit voll im Trend und perfekt auch für den Städter umgesetzt. Hiermit erkläre ich die Unkrautgourmetsaison 2021 für eröffnet!

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