brittaroeder
Was macht man, wenn die Realität eines Buches, die zugegebenermaßen absurde Realität eines Romans, sich noch am Tag der Lektüre als eine echte Nachrichtenmeldung bewahrheitet? Genau das ist mir mit diesem Roman passiert. Denn ich las ihn während in den USA von Trump-Anhängern das Kapitol gestürmt wurde. „Seit ich aus Rumänien vor dem Kommunismus hierher geflohen bin, ist niemals so etwas Spalterisches (…) passiert“. Diese Worte legt Salman Rushdie seiner Figur Mr. Jonésco in den Mund. Mr. Jonésco beschreibt Quichotte und Sancho die beängstigenden Zustände in seinem Heimatort. Plötzlich verwandeln sich unbescholtene Bürger in Ungeheuer. „Die Mammuts lassen sich nicht davon überzeugen, dass sie sich in schreckliche, surrealistische Mutanten verwandelt haben, und sie werden feindselig und aggressiv, sie nehmen ihre Kinder von der Schule und verachten Bildung. (…) In den ersten Tagen haben ein, zwei darauf beharrt, sie seien die wahren Amerikaner und wir die Dinosaurier, die man auslöschen müsse. Aber nach einer Weile haben sie gar nicht mehr mit uns gesprochen, stattdessen nur noch wie Flügelhörner gejault.“ Salman Rushie nimmt hier Anleihen bei seinem Autoren-Kollegen Ionesco und dessen berühmten Nashörnern, um die Reise des Quichotte durch die USA zu beschreiben. Es ist ein rassistisches feindseliges Amerika, geprägt durch Realitätsverlust und innere Auflösung. Immer wieder stellt Quichotte erschrocken fest, wie sehr sich die Welt bereits am Abgrund, in Auflösung, befindet. Es ist offensichtlich, dass Rushdie das zerspaltene Amerika unter Trump im Sinn hatte als er diese Zeilen schrieb. Die Geschehnisse am 6. Januar 2021, die sich im Kapitol in Washington abspielten, haben die Phantasie des Schriftstellers auf eine schaurig-reale Weise eingeholt. Selten hat mich ein Roman so intensiv in seiner Aktualität berührt.