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Griechische Tragödie 2.0 In enger Anlehnung an die antike Sage um Orpheus und Eurydike erzählt Salih Jamal auf gut 200 Seiten die tragische Geschichte des Ich-Erzählers Orpheus und seiner Lebensgefährtin Nienke. Alles an Jamals „Orpheus“ ist Energie pur: die mit kraftvollen Metaphern angereicherte Sprache, der stellenweise sehr brutale Plot, die schier uferlosen Emotionen des Ich-Erzählers. Die engen archaisch-patriarchalischen Strukturen, in denen Jamal seine Erzählung angesiedelt hat, verdichten diesen Lese-Eindruck zusätzlich. Denn ganz ähnlich wie in der griechischen Götterwelt geht es auch hier alles andere als zimperlich zu. Orpheus‘ Vater ist ein absolut skrupelloser Verbrecherkönig aus einer Dynastie von Verbrechern. Morde gehören zur Tagesordnung. Man ahnt rasch, das Gute, Unschuldige, verkörpert durch die rechtschaffene Anwältin Nienke und ihren Geliebten Orpheus, den harmlosen Sänger und Gelegenheitsjobber, kann in dieser brutalen von rücksichtslosen Männern gemachten Realität nichts anderes als scheitern. So haftet Allem von Beginn an eine gewisse Traurigkeit an. Die wenigen schönen Momente, an denen uns der um seine Geliebte trauernde Orpheus teilhaben lässt, erleben wir als Leser bereits als dessen unwiederbringlichen Verlust. Die Liebe wird stets mit Trauer, Schmerz und Einsamkeit verbunden. Wer es bei der Lektüre gerne optimistisch mag, sollte unbedingt die Finger von diesem schwermütigen Buch lassen. Wer sich jedoch darauf einlässt wird mit einem beeindruckend intensiven Lese-Erlebnis belohnt.