awogfli
Der Debütroman von Romina Pleschko war streckenweise höchst vergnüglich, denn die Autorin kann wirklich lustige Szenen erfinden, sprachlich sehr ansprechend formulieren und Figuren liebevoll entwickeln, in der Dramaturgie des Gesamtplots ist hingegen noch einiges an Luft nach oben. Am Ende fehlten mir trotz der enormen Entwicklung der handelnden Personen doch das Gesamtbild des Puzzles, die Aussage und das Ziel, was mir diese Geschichte letztendlich vermitteln soll. Diese von mir verortete Schwäche hat ihre Ursache im szenischen, defragmentierten Stil des Romans, der offensichtlich derzeit bei Jungautoren sehr angesagt ist, mir aber meistens nicht so gut gefällt. Die Autorin lugt hinter die Wohnungstüren eines Stadthauses und versucht, in stroboskopartigen Szenenwechseln die Mieter, beziehungsweise die Eigentümer und ihre Beziehungen zueinander zu einer gesamten Geschichte zusammenzubasteln. Alle ein bis zwei Seiten wechseln die Location respektive die Wohnung und dazu eben auch die handelnden Personen, wobei ein positiver Aspekt dabei ist, dass keine Verwirrung gestiftet wird, weil das Setting mit sechs Hauptfiguren doch recht überschaubar ist und alle Protagonisten in diesem Haus auch irgendwie miteinander in stetig wechselnden Beziehungen vernetzt sind. Da gibt es den Frauenarzt Herb Senior, der kurz vor der Pensionierung die Praxis an seinen Sohn weitergeben will beziehungsweise muss. Herb Junior, keine Leuchte im Bereich der Gynäkologie, da ihm vor Frauen eigentlich graust, besitzt im Haus eine eigene Wohnung und hat sich in den Nationalratsabgeordneten einer Rechtspartei verliebt, der auch dort wohnt. Magdalena, die Frau vom alten Herb und Mutter von Herb Junior und einer Tochter, ist nach ihrem Empty-Nest-Schock (als ihre zwei Kinder auszogen und selbständig wurden) außer ihrer Funktion als Beiwerk und Arztgattin völlig unterbeschäftigt und frustriert. Ihre sogar von sich aus konstatierte Nutzlosigkeit manifestiert sich in absoluter Lethargie und dem Umstand, dass sie seit Jahren sogar das Sprechen eingestellt hat. Im Haus leben noch Karin, eine frustrierte alleinerziehende Parfümverkäuferin und ihr gegenüber wohnend Psychopath Klaus, der für mich sogar am köstlichsten skizziert wurde. Klaus hat multiple, völlig unterschiedliche virtuelle Stalker-Identitäten ausgebildet, um seiner Nachbarin nahezukommen. In Karins Elternforum geht er mit diesen Identitäten gefinkelt vor. Beispielsweise treibt der rassistische Troll, der Karin permanent beschimpft und andeutet, sie online und offline zu stalken, die verzweifelte, eingeschüchterte Alleinerzieherin direkt in die Arme eines sensiblen Frauenverstehers, der natürlich auch von Klaus verkörpert wird. Wenn Klaus Karin dann im Elternform wirklich völlig aus dem Konzept gebracht hat, stalkt er sie anschließend im real life und spielt den liebenswürdigen Nachbarn, dem sie zufällig auf dem Flur und im Lift begegnet und der ganz schüchtern mit ihr flirtet. "Klaus hätte gerne bessere Probleme gehabt im Leben. Probleme, die sein Alter Ego Apachenträne76 im Elternforum hatte. […] Sich in ein harmonisches und durchgehend erfolgreiches Leben zu träumen, erschien im viel zu unrealistisch, deswegen erschuf er sich seine Traumprobleme und merkte schnell, wie viele Leute er damit ansprach. Von den sieben Männern im Elternforum verkörperte er drei, seine beiden anderen Existenzen bediente er sporadisch, die eine war ein kauziger Spezialist für Goldankäufe und einer langen, betrunkenen Nacht entsprungen, und der andere ein linksliberaler Frauenversteher … ." Im Laufe der Geschichte entwickelt sich eine Beziehung zwischen dem politisch linksstehenden Herb Junior und dem Nationalratsabgeordneten, die natürlich, der politischen Räson geschuldet, ganz geheim bleiben muss. Zu Beginn der Romanze gibt es eine köstliche Szene in einem BOBO-Restaurant, zusätzlich garniert mit Herb Juniors witzigen Analysen des gesellschaftlichen Essverhaltens. "Irgendwann im letzten Jahrzehnt hatte die Ernährung ganz langsam angefangen, die Religion zu ersetzen, und den Leuten war bis heute nicht klar, dass sie längst tiefgläubige Fundamentalisten waren, wenn sie in Biosupermärkten standen, Verpackungstexte einscannten und jedes Produkt auf mögliche Schadstoffe überprüfen ließen. Die Neue Religion strahlte in vielen verschiedenen Farben, für jeden war etwas dabei, es gab Kohlehydratjünger genauso wie Regionaljünger, aber der Fundamentalismus war längstens inmitten einer Gesellschaft angekommen, in der man sich absurderweise am meisten vor religiöser Radikalisierung fürchtete." So, nun muss ich noch eine Spoilerwarnung einschieben, denn mir hat das Ende nicht gefallen, das ich aber nicht kritisieren kann, ohne das Kind beim Namen zu nennen. Wer also von diesem Roman noch überrascht werden will, möge genau an dieser Stelle meine Rezension beenden … . Nachdem der Nationalratsabgeordnete Herb Junior den Laufpass gegeben hat, angelt sich dieser Karin in einer Zweckehe als Politikergattin. So ist die bürgerliche Welt mit Frau, Stiefkind und Baby in Ordnung gebracht und passabel eingerichtet. Herb Junior stirbt während eines Annäherungsversuchs durch die Hand des neu geplanten Sexpartners. Herb Senior erleidet am ersten Tag seiner Pensionierung einen Gehirnschlag oder auch eine Vergiftung, und das seit Jahren im Schatten darbende Mauerblümchen Magdalena blüht plötzlich auf, als ihr Mann komplett hilflos auf ihre Pflege angewiesen ist. Klaus gewinnt im Lotto und zieht durch die Lande. Was soll mir nun diese Figurenentwicklung sagen? Ich verstehe zwar die Entwicklung von Magdalena und Herb Senior und auch die von Karin und dem Nationalratsabgeordneten aber was ist mit dem Rest? Warum wurde das Schicksal von Klaus und Herb Junior so konzipiert? Am Ende verpufft das Finale, der ganzen Geschichte geht total die Luft aus. Tja und was ist die Moral von der Geschicht, ich verstehe zudem den Titel Ameisenmonarchie nicht. Fazit: Nicht schlecht für einen Debütroman, liebevolle Figurenentwicklung, witzige Momente in Szenen und Sprachfabulierung, aber im Finale und in der Dramaturgie besteht noch ordentliches Verbesserungspotenzial. Die Geschichte als Ganzes ist von meiner Warte aus komplett unrund. P.S.: Ach ja, pikantes Detail am Rande: Mein Mann glaubt, den Großvater der Autorin zu kennen, das war ein Arbeitskollege seines Vaters und derjenige, der versuchte, ihm sein Studium auszureden 🙂.