brittaroeder
Beänstigend und beklemmend – das sind die Vokabeln, die sich einem während der Lektüre schmerzhaft ins Hirn brennen. Mit jeder Episode mehr, die Manja Präkels in ihrem autobiografisch gefärbten Roman, an die vorangegangene reiht. Dabei beginnt es fast idyllisch: Mimi Schulz, die Ich-Erzählerin, schildert ihre Kindheit in der ländlichen Abgeschiedenheit einer DDR-Kleinstadt. Im Mittelpunkt steht ihre Freundschaft mit dem Nachbarsjungen Oliver. Man isst heimlich Schnapskirschen und spielt Fußball, teilt die üblichen Streiche und Kinderspiele und erfährt mit der beginnenden Pubertät die ersten herben Enttäuschungen des Erwachsenwerdens. Mit dem Mauerfall verschwindet Mimis vertraute Welt schlagartig. Die DDR ist auf einmal einfach weg und mit ihr alle Gewissheiten, an denen man sich hat orientieren können. Niemand in Mimis Umfeld bleibt verschont: unter den Erwachsen machen sich Arbeitslosigkeit und Existenzangst breit, viele von Mimis Mitschülern verlieren ihre berufliche Perspektive. Die Gesellschaft beginnt sich zu spalten. Es gibt die, die sich irgendwie arrangieren und jene, die als Verlierer auf der Strecke bleiben. Alte Ressentiments brechen wieder auf und werden unheilvoll angefacht durch die neue Wut auf alles Fremde. Fassungslos erlebt Mimi wie sich viele aus ihrer Generation radikalisieren, darunter auch ihr alter Freund, der unter dem Spitznamen Hitler eine kriminelle Karriere macht. Die jugendlichen Nazibanden terrorisieren das Heimatstädtchen. Eine Atmosphäre der Angst und Verleugnung liegt über allem. Einen Ausweg gibt es nicht, Überleben heißt sich verstecken und rechtzeitig flüchten. Präkels Romanaufbau haftet etwas Oberflächiges an: Sie verzichtet auf komplexe Charakterzeichnungen, die meisten Beziehungen erscheinen zufällig und die Handlung – sofern man überhaupt von Handlung sprechen kann, da die Protagonistin in ihrer hilflosen Beobachterrolle verharrt – ergibt sich nur aus der Chronologie der Ereignisse. Doch so spartanisch Präkels Romangerüst auch gezimmert erscheint, so klug und pointiert, wählt sie jeden einzelnen ihrer Sätze. Es sind die vielen kleinen feinen Nuancen, die Präkels so wunderbar gelingen, die ihrem Text genau die Eindringlichkeit verleihen, der man sich nicht entziehen kann – auch wenn man das stellenweise gerne möchte, weil das Erzählte die Schmerzgrenze überschreitet. Ein beängstigend aktueller Roman, der den Finger tief in die eitrige Wunde unseres Landes legt.