elena_liest
"Ich kämpfe, jeden Tag. Ich kämpfe allein. Ich kämpfe gegen die Schande, überlebt zu haben und immer noch am Leben zu sein. Ich kämpfe gegen die Tatsache, dass ich ein Mensch bin. Ich kämpfe gegen die Vorstellung, nur mein Tod könne mich von all dem befreien. Und Sie, ebenso ein Mensch wie ich, welche Antworten können Sie mir geben?" - Han Kang, "Menschenwerk" In ihrem Roman "Menschenwerk" erzählt die südkoreanische Schriftstellerin Han Kang eine wahre Geschichte: sie berichtet von den Studentenprotesten 1980 in ihrer Heimatstadt Gwangju, die die Militärregierung mit einem Massaker zerschlug. Han Kang wuchs in Gwangju auf, ihre Familie zog aber kurz vor den Protesten nach Seoul. Ihr Haus verkauften sie an die Familie von Dong Ho - der später in dieser grausamen Zeit ermordet wurde. So ist die Erzählung in "Menschenwerk" sehr persönlich, die Autorin knüpft ihre Story an realen Menschen an. Dabei ist ihr Schreibstil sehr sachlich, fast schon stakkatoartig sind ihre Sätze zu lesen und gehen vielleicht auch deshalb besonders unter die Haut. Der Roman wird aus vielen verschiedenen Perspektiven geschrieben. Die Autorin gibt in jedem Kapitel einer anderen Person eine Stimme, selbst die Seele, die über den Leichenbergen schwebt, darf ihre Sicht schildern. So erhält die Erzählung eine enorme Vielschichtigkeit, die sehr berührt. Besonders daran war auch, dass nicht nur die Personen, sondern auch der Ton der Geschichte immer wieder verändert wurde. Es gab den Ich-Erzähler, es gab die Du-Perspektive, es wurden aber auch die Leser*innen angesprochen. So bekam jedes Kapitel nochmals einen individuellen Anstrich. In "Menschenwerk" geht es um das Massaker von Gwangju, Han Kang greift aber noch viel tiefer: es geht um Grausamkeit und Würde, Schuld und Vergebung, Tod und das Leben mit dem Tod der Angehörigen - und wie man selbst nach solchen Grausamkeiten überhaupt weitermachen kann. Wie weit geht der Mensch, um anderen Menschen Leid zuzufügen? Dabei geht die Autorin nicht zimperlich vor. Die Leichenberge werden aufs Genaueste beschrieben, genauso wie verschiedene Verwesungsgrade der Leichen oder Foltermethoden - dessen sollte man sich vor dem Lesen bewusst sein. Was am Ende bleibt ist das Gefühl, hier ein dünnes Buch von großem, großem inhaltlichen Wert in der Hand zu halten. Han Kang schafft ein Bewusstsein für diese Studentenproteste, die ich gar nicht präsent in meinem Kopf hatten, obwohl ihre Niederschlagung doch so ein großer Angriff auf die Demokratie darstellt. Sehr lesenswert!