elena_liest
Graun, Südtirol, zur Zeit des 2. Weltkrieges: Das kleine, idyllische Bergdorf wird gleich von mehreren düsteren Ereignissen überschattet. Es steht inmitten der Konflikte zwischen Deutschland un Italien, wird einerseits von den Faschisten unterdrückt, die die dort vorherrschende Sprache Deutsch verbieten, andererseits marschieren die Nazis in das Dorf ein und schikanieren die Bevölkerung. Über all dem steht jedoch noch ein weiteres drohendes Unheil: der Bau eines Staudamms, der unweigerlich zur Überflutung von Graun durch den Reschensee führt. Inmitten dieser Spannungen setzt Marco Balzano seine Geschichte um die dort lebende Trina an. Sie ist eine gebildete Frau, möchte Lehrerin werden und heiratet einen dort ansässigen Bauern. Wir begleiten die Protagonistin über mehrere Jahre hinweg bis etwa 1950, als Graun tatsächlich unter dem Wasser verschwand. Durch die fiktive Person bringt uns der Autor diese wirklich berührende Geschichte des Dorfes näher und er geht dabei so behutsam und mit so viel erzählerischem Geschick vor, dass ich mich ganz in den Roman fallen lassen konnte. Die Inspiration zu "Ich bleibe hier" gab dem Autor eine Besichtigung des Reschensees. Heute schaut lediglich noch ein Kirchturm aus dem Wasser heraus, er ist alles, was noch von dem damaligen Graun übrig geblieben ist. Dieser Kirchturm ist ein von Tourist*innen gerne fotografiertes Motiv, sie werden in Scharen mit Touribussen dort angekarrt und ergehen sich dann im Selfie-Wahn. Die tragische Geschichte hinter dem Turm im See scheint aber nur den Wenigsten bewusst zu sein. Ich habe diesen Roman sehr geliebt und hatte beim Lesen das Gefühl, dass die Geschichte um Graun und den Reschensee sowie der damaligen Zwangsenteignung und der Rolle des Ortes im 2. Weltkrieg bisher viel zu wenig Beachtung gefunden hat. Es ist so schön, dass der Autor diesem versunkenen Ort seine Stimme leiht. Ich hatte mich mit dem Thema vorher nie beschäftigt und jetzt lässt es mich nicht mehr los. Das Buch hatte für mich eine ganze eigene Intensität und Traurigkeit und es berührte mich auch auf seine ganz eigene Weise. "Ich bleibe hier" erzählt von Hoffnung und Trauer, vom Vertrieben- und Entwurzelt-Werden aber auch von Zugehörigkeit, von Aufstand und Resignation. Ich habe es als sehr lesenswert empfunden, ein Stück Zeitgeschichte, das viel bekannter sein sollte.