Dagmar
Die Nazis nahmen ihr die Heimat und das Verhalten der deutschen Bürger machte sie fassungslos. Doch als das amerikanische Militär bei Jella Lepman 1945 anfragte, ob sie bereit wäre, sich in Deutschland für die „Re-Education“ der Frauen und Kinder zu engagieren, sagte sie ja. Dabei folgte sie der Logik des Herzens: Was auch immer während der Nazi-Diktatur geschehen war, die Kinder waren nicht schuld. Ihre Hoffnung war groß: Die Kinder werden den Erwachsenen den Weg weisen. Das Werkzeug dafür: Bücher. Kinderbücher aus aller Welt, die mit ihren Geschichten zeigen, dass alle Menschen gleich sind und es verdient haben, in Frieden zu leben. Das war die Geburtsstunde der IJB, der Internationalen Jugendbibliothek München, die sich heute in der Blutenburg in Obermenzing befindet. In „Die Kinderbuchbrücke“ erzählt Jella Lepman von der Rückkehr in das zerbombte Deutschland, von hungernden Kindern, von engagierten Mitstreitern und von Erwachsenen, die versuchten, die Zeit der Nazi-Diktatur und ihren eigenen Beitrag zu verdrängen. Sie berichtet von ihren Begegnungen mit prominenten Förderern wie Erich Kästner und Eleanor Rossevelt, die nach ihrem Treffen mit Jella Lepman in ihrer täglichen Zeitungskolumne „My Day“ am 27. Mai 1948 folgendes schrieb: "Der Zeitpunkt ist gekommen, da wir den Kindern Deutschlands und anderen Teilen Europas helfen müssen! Man darf es nicht unterlassen, außer Nahrungsmitteln auch Bücher zu senden. Wir dürfen die Kinder nicht wieder zu jungen Nazis und Faschisten aufwachsen lassen, wir müssen ihnen auch Nahrung für den Geist vermitteln!" Eleanor Roosevelt, zitiert nach „Die Kinderbuchbrücke“, S. 146 Das war einer der großen Erfolge Jella Lepmans, der ihr Herzensprojekt ein gutes Stück voranbrachte. Doch sie erzählt auch von herben Rückschlägen und unkonventionellen Lösungen. Sich selbst nimmt sie dabei immer zurück und stellt dafür die Freude der Kinder umso mehr in den Vordergrund. Neben einem ungeschönten Einblick in die Nachkriegszeit bescherten mir Jella Lepmans Memoiren noch etwas ganz anderes: eine Erinnerung an die Kraft der Bücher und an die Herzensbildung, die gute Geschichten vermitteln. Etwas, woran ich in unserer Warenwelt voller Unterhaltung manchmal zweifel.