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Die langersehnte Fortsetzung Vor 4 Jahren ist mit „Das Erbe der Tuchvilla“ eigentlich der letzte Band der Saga um die Tuchfabrikantenfamilie Melzer von Anne Jacobs erschienen, der in den 1920ern spielte. Doch schon damals hatte ich das Gefühl, dass sich die Autorin ein Türchen für eine evtl. Fortsetzung lassen will – und jetzt geht es wirklich weiter. Inzwischen schreiben wir das Jahr 1930. An der Tuchvilla wurde angebaut, sodass fast die ganze Familie darin wohnen kann: Elisabeth mit ihrem Mann Sebastian und 3 Kindern, Paul mit Marie und ebenfalls 3 Kindern und natürlich Alicia, die Mutter von Paul und Elisabeth. Dazu kommen unzählige Bedienstete, das Haus ist voll und immer was los. Wie schon in den ersten 3 Bänden, geht es auch hier wieder um die einzelnen Familienangehörigen und Angestellten und deren jeweiligen Probleme. Die Weltwirtschaftskrise macht sich langsam bemerkbar und auch Familie Melzer muss sehen, wie sie die Zeit übersteht. Paul leitet die Firma, musste für die Anschaffung neuer Maschinen und die Erweiterung der Villa Kredite aufnehmen. Diese sind jetzt fällig, aber es kommt kaum noch Geld rein. Er möchte ein gutes Familienoberhaupt sein und reibt sich auf, um die (Geld-) Probleme so lange wie möglich zu verheimlichen. Seine Frau Marie führt ihr Modeatelier, aber die Kundinnen können sich Maßkonfektion nicht mehr leisten oder bezahlen einfach nicht. Die Zwillinge Leo und Dodo sind in der Pubertät und haben ihre eigenen Vorstellungen von der Zukunft. Leo soll eigentlich seinem Vater in der Fabrik nachfolgen, ist aber ein begabter Pianist und Komponist ohne Sinn für Zahlen. Auch seine Schwester Dodo macht es ihren Eltern nicht leicht – an ihr ist ein echter Junge verloren gegangen. Sie hat ein unglaubliches technisches Verständnis und träumt davon, Pilotin zu werden. Sie war für mich der heimliche Star des Buches und meine Lieblingsprotagonistin. Sebastian stammt aus einfachen Verhältnissen, ist in der KPD aktiv, hält Vorträge und versucht, in der Firma einen Betriebsrat zu etablieren. Er steht immer auf der Seite der Arbeiter und sorgt so mehrfach für hitzige Diskussionen und gefährliche Situationen. Seine Frau Elisabeth unterstützt ihn bei seinen Plänen – auch wenn sie sich damit gegen die Familie stellt. Tilly von Klippstein, die Frau von Pauls ehemaligem Partner Ernst hat ebenfalls ein schweres Los. Sie und Ernst führen eine reine Vernunftehe. Er kann keine Kinder zeugen, dafür lässt er sie als Ärztin arbeiten. Doch ihre männlichen Kollegen akzeptieren sie nicht und Ernst entfernt sich politisch immer mehr von ihr. Er ist ein glühender Anhänger von Hitler und der NSDAP. So kommt es, dass auch Tilly wieder bei den Melzers unterkriecht und ihr Leben überdenkt. Unter den Angestellten ist es vor allem das Küchenmädchen Liesl, die Tochter der Gärtnerin, die ihr Glück und ihre Wurzeln plötzlich außerhalb der Villa sucht. Geschickt verknüpft Anne Jacobs auch im 4. Band das damalige aktuelle Welt- und politische Geschehen mit den unterschiedlichen Schicksalen der Familienmitglieder und ihrer Angestellten. Sie zeigt, wie sich die Weltwirtschaftskrise und das Erstarken der NSDAP auf die einzelnen Gesellschaftsschichten auswirken. Besonders irritierend aus heutiger Sicht fand ich, dass verheiratet Frauen damals (wieder) die Zustimmung ihres Mannes brauchten, wenn sie einen Beruf ausüben wollten – im 1. Weltkrieg hatte schließlich auch niemand danach gefragt, ohne die Frauen wäre die Wirtschaft zusammengebrochen und das Wahlrecht hatten sie schließlich auch schon seit 1917. Sehr amüsant fand ich auch das Wiederlesen mit der überkandidelten Kitty, die nie ein Blatt vor den Mund nimmt oder ihre Meinung zurückhält. Dabei schießt sie zwar auch manchmal über das Ziel hinaus, aber sie erreicht das Gewünschte damit oft. Sie und Tilly sind zwei starke, moderne Frauen und damit Dodos Vorbilder. Auch Serafina, die ehemalige (immer noch intrigante) Gouvernante, taucht wieder auf und versucht, Unfrieden zu Stiften. Spannungsgeladen, fesselnd und unterhaltsam (ich habe die reichlich 600 Seiten in nur 4 Tagen verschlungen) – hier vergebe ich sehr gern 5 Sterne und hoffe auf eine weitere Fortsetzung – schließlich steht mit Dodo und Leo schon die nächste Generation in den Startlöchern …