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awogfli

Posted on 12.10.2020

Die niederländische Autorin Jessica Durlacher habe ich letztes Jahr bei meiner EU-Autorinnenchallenge entdecken dürfen. Ihr Roman der Sohn hat mir damals sehr gut gefallen, wenn er auch für meine Begriffe einen zu gemächlichen Plotaufbau aufwies – die Geschichte kommt einfach viel zu lange nicht in die Puschen, im Hintergrund wabert zu seitengreifend ein diffuses Ungemach, das viel zu stark hinausgezögert wird -was mich veranlasste, einen Stern abzuziehen. Diese kleinere dramaturgische Schwäche zieht sich auch bei dieser Geschichte durch, sie eskaliert sogar derart, dass ich mehrmals genervt meine Augen verdrehen musste, da die Protagonistin ewig und partout nicht mit ihrem Geheimnis herausrücken wollte und damit viel zu viel Tempo aus der Erzählung herausgenommen wird. Das Grundsetting und das Finale beider Romane ist jedoch grandios, in der Mitte hätte nur ein bisschen gestrafft und gekürzt werden müssen. Die schöne und moderne Liebesgeschichte zwischen zwei niederländischen Juden, die das alte Thema um die Jahrhundertwende (z.B. von Schnitzler) wieder aufgreift - assimilierter Jude, der nichts mit dem Glauben und dem Holocaust zu tun haben will, trifft auf Mitarbeiterin im Anne Frank Haus, die das Erbe ihrer Eltern lebt - ist der Startpunkt der modernen Auseinandersetzung der Autorin mit dem Holocaust. Sie thematisiert sehr spannend oft meist nicht direkt die Kriegsgeneration, sondern die Auswirkungen, die die Väter und Großväter auf die folgenden Generationen verursachen. Das ist immer ein sehr interessanter Aspekt, wie die Kinder mit dem Erbe der Vergangenheit umgehen. Sabine und Max intensivieren ihre Beziehung, ziehen zusammen und lernen gegenseitig ihre Familien kennen. Beide Väter waren im KZ, wobei der Vater von Max so traumatisiert ist, dass er nicht darüber, aber auch nicht über das Judentum sprechen will, im Gegensatz zu Sabines Vater, der seiner Tochter sehr viel über jüdische Identität beigebracht hat und sich alles von der Seele redet. Plötzlich trennt sich Sabine ohne Grund von einem Tag – was sage ich von einer Stunde auf die andere - von Max und ist wie vom Erdboden verschluckt. Sie lässt über ihre Mutter ausrichten, dass sie keinen Kontakt mehr zu Max haben möchte. Im Hintergrund wabert, wie bei Jessica Durlacher üblich, ein dunkles Geheimnis, das Ungemach für die Protagonisten nach sich zieht. In Teil zwei hat Max seine erste große Liebesenttäuschung nie verwinden können, irgendwie ist er dadurch ein bisschen beziehungsunfähig geworden. Unvermittelt trifft er Sabine nach Jahren auf der Frankfurter Buchmesse wieder. Im Laufe der Jahre ist Max nun ein bekannter holländischer Verleger geworden, obwohl er eigentlich schreiben wollte, Sabine arbeitet in Hollywood erfolgreich als Fotografin und stellt auf der Buchmesse einen Fotoband vor. Spontan, seinen nicht aufgearbeiteten Gefühlen folgend, reist er ihr nach Los Angeles nach, um dort fortzusetzen und anzuknüpfen, wo die beiden vor Jahren aufgehört haben. Warum Sabine ihn so Knall auf Fall vor Jahren verlassen hat, weiß man noch immer nicht, mittlerweile nervt es ziemlich, dass sie trotz Fragen und Druck nicht mit dem Grund herausrückt. Die neu aufflammende Liebesbeziehung zwischen den beiden wird irgendwie durch Sabines väterlichen Freund oder Ex-Geliebten Sam Zaidenweber – man weiß es nicht, aber spekuliert stark - ein bisschen irritiert, was Max dadurch kompensiert, dass er sich mit Sam anfreundet. Er ist der Typ jüdischer Edelmann aus der Elterngeneration und hat den Holocaust auch in Europa überlebt. Max soll Sams Lebensgeschichte auf dem holländischen Markt herausbringen, was eine Überraschung für Sabine sein soll, die sich immer brennend für Sams Vergangenheit interessiert hat. Erst als Sams Lebensgeschichte in Form eines Romans erscheint – nach ewiger Herauszögerung des Finales – serviert uns die Autorin einen atemberaubenden Plot Twist, der total abgedreht und trotzdem glaubwürdig konzipiert wurde und uns auch noch alle undurchsichtigen Handlungen und Motive von Sabine in der Vergangenheit mit einem Schlag völlig schlüssig erklärt. Was das Geheimnis ist, möchte ich nicht spoilern, aber darauf wäre ich im Leben nicht gekommen. Eines möchte ich aber dennoch verraten, so schließt die Autorin wieder den Kreis ihrer Fokussierung der meisten Romane: Wie sich die Traumata und die Schuld der Holocaust-Elterngeneration auf die Kinder und Enkel auswirken. Fazit: Eine prinzipiell sehr grandioser Roman, den ich bitte gerne um etwa hundert Seiten kürzer und stringenter gestrafft gehabt hätte, deshalb ziehe ich einen Stern ab. Auf jeden Fall aber eine Wahnsinns-Geschichte, die es wert ist, zu lesen.

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