evaczyk
Sie sind ein ungleiches Paar, der introvertierte frankokanadische Schriftsteller mit dem angelsächsichen Pseudonym und die lesewütige junge Mechanikerin Pitsemine, wegen ihrer langen dünnen Beine auch die "Große Heuschrecke" genannt. Jacques Poulin, ebenfalls Frankokanadier, lässt sie in seinem Roman "Volkswagen Blues" per Zufall auf einem Campingplatz auf der Halbinsel Gaspé zusammenkommen - der Schriftsteller übernachtet in seinem umgebauten VW-Bus, die junge Frau ist per Anhalter unterwegs. Aus einer angepeilten kurzen Strecke wird eine lange gemeinsame Reise, aus Fremdheit wird Vertrauen und Freundschaft in diesem langsam erzählten Buch, in dem es immer wieder auch um Bücher und Worte, um Entdeckungen und die Spuren nordamerikanischer Entdecker und Pioniere geht. Der Schriftsteller sucht seinen Bruder Théo, zu dem er seit vielen Jahren keinen Kontakt mehr hatte. Eine alte Postkarte mit einer merkwürdigen alten Schrift ist der einzige Hinweis, dem er folgt - und die junge Frau kann das Puzzlestück einordnen - es handelt sich um einen Text von Jacques Cartier, dem Entdecker, der Kanada einst für den König von Frankreich beanspruchte. Es ist ein wenig ironisch, dass der Hinweis auf die kolonialen Entdecker in Nordamerika ausgerechnet von Pitsemine kommt, die Halbindianerin ist und daher besonders sensibel auf das Thema Eroberung und Besiedlung des Kontinents - auf Kosten der einheimischen Bevölkerung reagiert, zugleich aber ihren eigenen Platz in der Gesellschaft nicht wirklich einordnen kann. Als dritter im Bundes ergänzt ein kleiner Kater die Reisegruppe im VW-Bus. Die Geschichte der Entdecker und Voyageure, der frankokanadischen Pelzjäger, die häufig mit Indianervölkern lebten und indianische Frauen hatten, zieht sich wie ein roter Faden durch "Volkswagen Blues". Denn auch Théo scheint diesen Spuren gefolgt sein, oder zumindest ihren Routen - über die Grenze in die USA, in die Prärieregionen, schließlich auf den Oregon Trail an die Westküste, die für viele Siedler zum gelobten Land wurde, das sie nie erreichten. Die tragische Geschichte der "first nations", die Zerstörung ihrer Lebensgrundlagen und die Kriege der Eroberer gegen die indianischen Völker, setzt immer wieder dunkle Akzente. Der Schriftsteller und Pitsemine folgen diesen Spuren nicht nur auf der Straße, sondern auch mit Büchern und Karten. Für den Schriftsteller mit Schreibblockade und die lesewütige Mechanikerin (die sich als ein Segen für den alten und nur begrenzt für den langen Road Trip geeigneten VW-Bus erweist) sind Bücher die Orte, die sie verbinden, zwei Einzelgänger, die eigentlich am liebsten allein sind und nun doch zusammen reisen. "Volkswagen Blues" ist ein ruhig erzähltes Buch vom Unterwegssein, in dem auch für die Protagonisten der Weg letztlich das Ziel ist. Denn auch wenn die Reise endet, wenn die Suche nach Théo ihren Abschluss findet, wird Pitsemine auf der Straße weiterreisen. Und auf den Schriftsteller, der gesagt hat, Schreiben sei für ihn eine Entdeckungsreise, wartet eine Reise anderer Art. Schöne Sprachbilder und Beschreibungen lassen beim Lesen Bilder von Weite und dem schier endlosen Band der Straße aufkommen. Volkswagen-Blues ist ein Reiseroman voll melancholischer Poesie, der den Leser mitnimmt auf eine Entdeckungsreise durch Raum und Zeit.