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elena_liest

Posted on 23.9.2020

"Die Buchstaben zogen sie magisch an, so dass sie noch die Liste der Inhaltsstoffe eines Reinigungsmittels las, das zufällig am Fensterbrett stand, las die Buchrücken in den Regalen und die Zubereitungsanleitung auf den Teebeuteln, als könnte sie die Augen, einmal geöffnet, nicht abstellen beim Entziffern der Welt." - Valerie Fritsch, "Herzklappen von Johnson & Johnson" Alma wächst in einer Familie auf, in der die Stille viel Raum einnimmt. Ihre Eltern sind sehr schweigsam, bei Familienfeiern verstummt man bei schwierigen Themen. Alma wird von diesem Verschwiegenen magisch angezogen, sie fühlt eine Vergangenheit, die gar nicht die ihre ist und fragt nach, so viel sie kann. Der Umgang mit Schuld und das Erlernen von Mitgefühl nehmen einen großen Teil ihres Lebens, aber auch das all ihrer Familienmitglieder ein. "Herzklappen von Johnson & Johnson" kommt mit einer sprachlichen Wucht daher, die ich dieses Jahr bisher kaum in einem anderen Roman finden konnte. Valerie Fritsch schreibt sehr verschachtelt, aber gleichzeitig einfach wunderschön, sodass man einige Passagen am liebsten aufsaugen und nie mehr vergessen mag. Jedes Wort strahlt Schönheit aus und bringt viele, viele Emotionen mit sich. Obwohl ich den Schreibstil der Autorin wirklich nur in den höchsten Tönen loben kann, konnte mich der Inhalt des Romans nicht wirklich überzeugen. Zunächst finde ich den Klappentext schlecht gewählt. Man könnte meinen, der Hauptprotagonist des Buches sei Almas Sohn, tatsächlich geht es aber eher um Alma, die Geschichte ist um sie herum gestrickt. Auch spielt die Krankheit des Jungen (er verspürt keinen Schmerz) keine wirklich tragende Rolle, sie fügt sich eher ein in dieses Geflecht aus Schmerz, Schuld und Vergebung. Generell kam es mir vor, als hätte Valerie Fritsch vielleicht etwas zu viel gewollt mit ihrem doch sehr schmalen Roman. Das Thema Krieg und der Umgang mit den Nachwehen des Krieges scheinen eigentlich wichtig zu sein, bekommen dann aber doch kaum Raum - was ich sehr schade fand, da der Ansatz der Autorin vielversprechend war. Es handelt sich bei "Herzklappen von Johnson & Johnson" um einen Roman über eine Familie, man begleitet sie über mehrere Generationen hinweg. Leider inhaltlich nicht ganz ausgeklügelt, dafür aber sprachlich einfach wunderbar. Für mich gibt es 3 / 5 ⭐.

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