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elena_liest

Posted on 15.9.2020

Stell dir vor, du bist bei der Arbeit. Dein Kind ist alleine zu Hause. Alleine? Nicht ganz. Es hat Gesellschaft, denn du hast ihm einen neuen Gefährten gekauft. Keine Katze, keinen Hund, nein: ein Kuscheltier, auf drei Rädern - mit Augen, hinter denen sich eine Kamera versteckt. Die kleinen Tierchen sind der neueste Schrei, jede*r möchte entweder eines besitzen oder eines steuern - denn die Kameraaugen streamen live, zu einer*einem anonymen "Watcher", der das Tierchen durch eine fremde Wohnung steuert, deine Wohnung. Doch was, wenn der süße Panda deinem Kind nicht wohlgesonnen ist? Babyphone, die Kinder abhören, Drohnen, die dich nackt im Garten filmen können, Kuscheltiere, die deinem Kind Dinge zuflüstern - all das gibt es schon. Und all das ist gar nicht so weit entfernt von Samantha Schweblins "Hundert Augen". Der Roman ist zwar dystopisch und im ersten Moment habe ich gedacht: ne, niemals würde ich mir so ein Tierchen zulegen! Aber: wenn es alle machen, ist man dann nicht doch in Versuchung? Früher habe ich auch mal gedacht, dass ich mir niemals eine "Alexa" oder sonstiges zulegen würde, heute steht in unserer Wohnung in jedem Zimmer eine - sie hört mich ab, na und? Gerade solche Tatsachen machen den Roman so gruselig. Viele der Geschichten in dem Roman beginnen harmlos. Es werden verschiedene Begegnungen von Menschen mit den neuen Plüschtieren beschrieben, sowohl aus der Perspektive derer, die sich solch einen Begleiter kaufen, als auch derer, die hinter den Bildschirmen sitzen und die anderen Menschen beobachten. Manche Personen begleitet man als Leser*in bis zum Schluss, andere haben nur einen kurzen Auftritt - der meist einschlägt wie eine Bombe. Doch auch die längeren Geschichten, die eigentlich fast harmlos beginnen, enden in einem Horrorszenario. Mich konnte Schweblin mit "Hundert Augen" sehr überzeugen. Selten war für mich das Grauen so nah an der Wirklichkeit angelehnt wie bei diesem Roman. Was mir auch besonders gefallen hat ist die Covergestaltung: am Anfang habe ich mich noch darüber gewundert, wie dieser zerzauste Panda zu dem Buch passt, schnell wurde aber bei der Lektüre klar, dass die Umschlaggestaltung ausgesprochen gut mit dem Inhalt harmoniert - sowas liebe ich! An der ein oder anderen Stelle hätte die Autorin vielleicht noch etwas tiefer in die Thematik einsteigen können, manchmal hätte ich mir auch gewünscht, dass eine Geschichte etwas länger erzählt wird. Trotzdem war der Roman für mich wirklich gut, auch aus sprachlicher Sicht. Ich vergebe 4 / 5 🌟.

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