evaczyk
Mit seinem Roman "Das schwarze Königreich" schließt Szczepan Twardoch an seinen Erfolgsroman "der Boxer" an. Auch hier geht es wieder um Jakub Szapiro, den ehemaligen Boxer und Gangster, der sich in den 20-er und 30-er Jahren als "König von Warschau" fühlen dürfte. Doch in dem Roman, der während der deutschen Besatzung im Zweiten Weltkrieg spielt, ist die Situation eine völlig andere. Und auch sprachlich unterscheidet sich dieses Buch von seinem Vorgänger. Bildhaft-brachial geht es auch hier zu, doch gleichzeitig lässt Twardoch eine Reihe von Manierismen einfließen, die für mich teilweise schon ein bißchen "too much" sind - leider, denn abgesehen davon handelt es sich um ein ziemlich atemberaubendes Buch. Der Szapiro des "schwarzen Königreichs" ist nur noch ein Schatten des alten Alphamannes, der sein Leben im guten wie im schlechten aus dem vollen lebte. Der selbstbewusste Gangster ist nur noch in der Erinnerung groß. Der Mann, der Herr über Leben und Tod war, ist nun hilflos, schwachm völlig abhängig von anderen - seien es die deutschen Besatzer, die ihn als Mitglied der Ordnungspolizei noch am Leben lassen, sei es nach dem Ghetto-Aufstand Ryfka, die einstige Bordellbesitzerin und langjährige Geliebte Szapiros. Selbst Ehefrau Emilia, die jahrelang alle Affären und Gaunereien ertragen und verziehen hat, zieht den Schlussstrich und hat Jakub aus der gemeinsamen Wohnung im Ghetto geworfen, als er sich mit seiner Arbeit für die Ordnungspolizei gewissermaßen zum Kollaboranten machte. Ryfka ist auch eine der Ich-Erzählerinnen des Romans, zusammen mit David, einem der Zwillingssöhne Szapiros, dessen beschützte und privilegierte Kindheit ein jähes Ende findet, als die Familie ins Ghetto umziehen muss. Während Ryfka, die als früh verwaistes Mädchen auf den Straßen von Lodz schon seit jeher eine Überlebende war, muss David erst lernen, was es heißt, um jeden Preis zu überleben, als Schmuggler die Versorgung seiner Mutter und seines Bruders zu sichern. In einer Szene des Buches sollen sie sich in der apokalyptischen Trümmerwüste Warschaus nach der Niederschlagung des Aufstands begegnen. Da sind die Szapiros als Familie nur noch eine Erinnerung. Es ist anzunehmen, dass Twardoch bei den derzeitigen polnischen Kulturpolitikern eher keine begeisterten Leser findet. Denn "Das schwarze Königreich" widerspricht dem Narrativ des uneigennützig und tapfer kämpfenden Polen, das sich den deutschen Besatzern entschlossen entgegenstellte, von einem Widerstand, der verfolgten Juden auf breiter Basis half. Für Ryfka oder David sind die christlichen Polen in den meisten Fällen eine Bedrohung, bestenfalls ein unbekanntes Risiko. Beim Überleben müssen sie sich auf ihre eigene Schlauheit, auf ihre Instinkte, auf die Planung von Schutz und der Suche nach dem nächsten Versteck konzentrieren. Der Antisemitismus, der in der Vorkriegsgesellschaft weit verbreitet war, hörte nach dem 1. September 1939 nicht einfach auf - das wird in Twardochs Buch immer wieder thematisiert. Ebenso ist das Alleinsein, die Isolation, die nicht nur materielle Verarmung der Warschauer Juden ein Thema. Sie, die einst ein Drittel der Einwohner der polnischen Hauptstadt stellten, in der ein reiches jüdisches kulturelles und religiöses Leben herrschte, sind plötzlich jenseits aller Unterschiede zwischen Säkularen und Religiösen, Zionisten und Bundisten, Jiddisch sprechenden Vertretern einer Minderheitenkultur und assimilierten Juden, die sich in erster Linie als Polen begriffen haben nur noch elende Ghettobewohner, die nicht wissen, ob sie den nächsten Tag erleben. "Das Böse ist die Existenz der Welt", heißt es in einem Satz von Ryfka, und diese Erfahrung des Bösen zieht sich als Grundzug durch den Roman. Lange lässt Twardoch den Leser rätseln, wie die Perspektive der Erzählenden zu verstehen ist. So ist immer wieder vom "hiermals" die Rede, werden Vergangenheit und Gegenwart in einem Satz verwoben mit Formulierungen wie "Ich sah, sehe..." Sie befinde sich "im Grau" präzisiert Ryfka später einen Zustand jenseits von Körperlichkeit und Empfinden, von Leben, wo nur noch Gedanke und Erinnerung existieren: "Das Hiermals ist ein ewiges Wachen, aus dem es kein Entkommen gibt." Für Leser, die sich nicht mit der polnischen Geschichte im Zweiten Weltkrieg auskennen, ist "Das schwarze Königreich" womöglich eine Herausforderung. Viele Anspielungen könnten deutschen Lesern verschlossen bleiben. Doch die in eindrucksvollen Bildern erzählte dramatische Handlung dürfte auch sie in den Bann ziehen.