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elena_liest

Posted on 13.9.2020

"»Der Herzfaden?« fragt Hatü. »Der wichtigste Faden einer Marionette. Nicht sie wird mit ihm geführt, sondern mit ihm führt sie uns. Der Herzfaden einer Marionette macht uns glauben, sie sei lebendig, denn er ist am Herzen der Zuschauer festgemacht.«" Nach einer Vorstellung der Augsburger Puppenkiste gerät ein 12jähriges Mädchen durch eine unscheinbare Tür auf einen Dachboden. Dort trifft sie auf Marionetten: Prinzessin Li Si empfängt sie und bringt sie zu den anderen, Kater Mikesch, Jim Knopf, Urmel aus dem Eis... und zu Hatü, der Macherin der Puppen. Das Mädchen fühlt sich verloren, sie ist plötzlich nur noch so groß wie die Marionetten. Doch dann beginnt Hatü, ihre Geschichte zu erzählen. Hatüs Geschichte hat nicht nur das Mädchen in ihren Bann gezogen, sondern auch mich von Anfang an gefesselt. Obwohl ich von dem etwas ältlichen Schreibstil Thomas Hettches nicht so angetan war, haben mich Hatüs Erzählungen absolut verzaubert. Ich weiß nicht, wie es euch geht, wie alt ihr seid und in wie weit ihr euch noch an die Ausgburger Puppenkiste erinnern könnt, mich haben die Figuren aus diesem Buch aber einen großen Teil meiner Kindheit lang begleitet. Vor allem Urmel, oder wie ich es im Kopf habe: das "Urmeli", hat mir damals besonders gefallen, aber auch viele andere der Geschichten konnten mich als Kind begeistern. Diese Begeisterung greift der Autor in "Herzfaden" auf und erzählt die Hintergründe der Augsburger Puppenkiste sowie der Familie Oehmichen, die hinter der Idee zu dem Marionettentheater sowie der Herstellung der Figuren steckt. Unsere Protagonistin Hannelore Marschall-Oehmichen ist die Tochter von Walter Oehmichen und Puppenschnitzerin. Während von ihrem Vater das Puppenspiel erdacht wurde, kümmert sie sich um die Marionetten, gibt ihnen ein Gesicht und haucht ihnen als Spielerin auch Leben ein. Der Roman spielt zur Zeit des 2. Weltkriegs sowie in der Nachkriegszeit. In der Familie Oehmichen sowie ihrem Umfeld und in allen anderen Menschen in ganz Deutschland hat der Krieg tiefe Spuren hinterlassen. Sie sehnen sich nach Ablenkung, nach einem kleinen Stück Kind sein. Die Marionetten sind genau das, was das Land braucht - deshalb wird Jim Knopf auch zum ersten Serienhelden der BRD. Mir war die Geschichte um die Augsburger Puppenkiste gar nicht bewusst, umso begeisterter war ich von diesem Roman. Er ist einfühlsam, besonders und porträtiert ein ganz besonderes Stück Zeitgeschichte. Für mich ist dieser Roman zurecht auf der Longlist des Deutschen Buchpreises 2020 gelandet und ich vergebe 4,5 / 5 🌟.

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