evaczyk
Stell dir vor, es ist Krieg – und plötzlich stehen die Chancen offen, die früher undenkbar gewesen wären. So jedenfalls geht es Anna, der Hauptfigur in Jennifer Egans Roman “Manhattan Beach”. Als Tochter einer irischen Familie aus Brooklyn scheint ihr Leben weitgehend vorbestimmt – Familie und Kirchgang, und irgendwann eine eigene Familie. Aber der Kriegseintritt der USA nach dem Angriff auf Pearl Harbour wirft das traditionelle Gefüge durcheinander. Plötzlich fehlen in Fabriken und anderswo die Männer und die Frauen rücken in eine Arbeitswelt vor, die ihnen bisher verschlossen war. Auch Anna arbeitet für die Kriegsindustrie im Büro einer Werft. Die Arbeit findet sie aber langweilig, viel mehr reizen sie die Schiffe, die dort gebaut werden, beneidet im Stillen die Frauen, die auf den Docks etwa als Schweißerinnen arbeiten. Doch Anna, das brave irische Mädchen, das seiner Mutter bei der Pflege der behinderten Schwester hilft, hat auch eine verborgene wilde Seite, die sie selbst zu verdrängen versucht. Eine Freundin auf der Werft schafft es dennoch, sie zu einem Ausflug ins Nachtleben von Manhattan zu überreden. Hier trifft sie auf den attraktiven, aber auch in Mafiakontakte verstrickten Nachtklubbesitzer Dexter Stiles, einen Mann, von dem sie sich angezogen fühlt wie eine Motte vom Licht. Noch mehr wird Anna allerdings von dem Wunsch angetrieben, als Taucherin an Kriegsschiffen zu arbeiten. Beharrlich und gegen alle Widerstände, ja Anfeindungen männlicher Vorgesetzter und Kollegen verfolgt sie ihren Traum, versucht mit Charme und Entschlossenheit Widerstände zu erschüttern. Egan hat mit “Manhattan Beach” ein episches Gesellschaftsbild gezeichnet, in dem es nicht nur um Anna und ihr Streben nach Selbstverwirklichung geht. Der multiethnische Mikrokosmos Brooklyn, das schillernde Nachtleben von Manhattan, die Welt der Finanzpatriarchen, Seeleute und Mobster – viel Liebe zum Detail steckt in dem Roman, für den Egan akribisch recherchiert haben muss. Allerdings führt gerade diese akribische Genauigkeit mitunter dazu, dass ihre Figuren mitunter gewissermaßen leblos wirken, wie Staffage im Gesamtgemälde. Andere spielen vorübergehend eine Rolle, um dann gewissermaßen kommentarlos wieder in der Versenkung zu verschwinden. Das stört ein wenig Lesbarkeit und Erzählfluss. Wer historisch inspirierte Bücher um selbstbewusste Frauenfiguren mag, dürfte “Manhattan Beach” dennoch genießen. Anna ist eine Figur mit Ecken und Kanten, die trotz einer gänzlich anderen Lebenswelt auch heute vielen Leserinnen mit ihren Kämpfen vertraut sein kann.