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awogfli

Posted on 26.8.2020

Ein wundervolles Stück Jugendliteratur, das der von mir vielgeschätzten Autorin Christine Nöstlinger hier gelungen ist. Der Roman erzählt vom Ende des zweiten Weltkriegs aus der Sicht eines Kindes, der 9-jährigen Protagonistin. Die Handlungen und die Stimmung in der Geschichte sind geprägt von grenzenloser Naivität und Optimismus seitens des Kindes, ein Schuss Traurigkeit gepaart mit Komik. Der Roman vermittelt den Krieg perfekt für das jugendliche Publikum, sowohl sehr ernsthaft und lehrreich, aber auch mit einem Schuss Humor und mit einer überhaupt nicht zynischen oder verzweifelten Sichtweise, wie sie die Erwachsenen damals pflegten. Sprachlich ist auch alles auf das junge Publikum abgestimmt, die Sätze sind einfach und leicht verständlich, aber dennoch sehr poetisch. Das übte auch auf mich als schon ältere Leserin durchaus seinen Reiz aus. „Aber jetzt sah ich die Bomben. Die Flugzeuge ließen so viele Bomben so schnell hintereinander aus ihren Bäuchen, dass es aussah, als hinge aus jedem Flugzeug eine dunkelgraue, glänzende Perlenkette. Und dann zerrissen die Perlenketten, die Bomben zischten herunter“ Die Familie der Protagonistin wurde in Wien ausgebombt und wird von der alten Nazigräfin Frau von Braun aufgefordert, auf ihr Haus in der Vorstadt aufzupassen. Dort im feinen Villenviertel mit den arisierten hochherrschaftlichen wunderschönen Häusern flüchten die alten Nazis in den letzten Kriegstagen alle aus Angst vor den Russen aus den Häusern, die sie den Juden weggenommen haben. Nach der Diaspora stöbern die übriggebliebenen Kinder in den aufgegebenen Kellern und finden Berge von Leberwurst, eingeweckte Fertiggerichte wie Hirsch in Madeirasauce, Bohnen, Mehl … - ein Eldorado an Köstlichkeiten. Als die Kids ihren Eltern, der ungeliebten Schwiegertochter der alten Nazigräfin und der Mutter der Protagonistin vom Raubzug beichten, ergibt sich folgende Szene, die eben die gleichzeitige Tragik und Komik des Romans sehr gut repräsentiert. Es blieb uns wohl nichts anderes übrig, als die Wahrheit zu sagen Also sagte ich: „Das haben wir gestohlen“ […] „Wir haben es aus dem Leinfellner-Haus geholt, aus dem Küchenschrank. Die Leinfellner sind ja weg!“ Da begann die Frau von Braun zu lachen und meine Mutter lachte mit, und dabei kugelten ihnen Tränen über die Wangen. „Leberwurst mit Zunge Herr Leinfellner, Heil Hitler, Herr Leinfellner“, rief die Frau von Braun. Sie hob ein Hirschbratenglas hoch und sagte: „Durchhalten müssen wir bis zum Endsieg, hat er immer gesagt, der Herr Leinfellner! Ja, ja beim Hirschbraten läßt sich gut durchhalten, Herr Leinfellner!“ Meine Mutter kniete auf der Quasteldecke. Sie hatte zu lachen aufgehört. „Schnitzel in Madeira Sauce, Jahrgang 1944“, sagte sie. Sie schüttelte den Kopf. „Und wir haben Erdäpfel gefressen, nichts als Erdäpfel.“ Als dann die Rote Armee anrückt und in ihrem Haus Quartier bezieht, beginnt die Protagonistin eine Freundschaft mit dem Koch der Russen. Sie hat keine Angst vor den Soldaten, denn sie kennt weder die Schlechtigkeit des Krieges und der Soldaten noch hat sie ein schlechtes Gewissen, was deutsche Wehrmachtsangehörige den russischen Familien im Krieg angetan haben, die nun natürlich Angst vor Vergeltung haben. Auch der Vater der Protagonistin, der eine schlimme Verletzung hat, wohnt mittlerweile am Dachboden der Vorstadtvilla, er hat sich irgendwie durchgeschummelt. Im restlichen Haus logieren der Major der Kampftruppen, der Feldwebel, zwei Soldatinnen und mehrere Soldaten. Nach und nach ergibt sich eine freundschaftliche Beziehung zwischen Besiegten und Siegern, die aber durchaus immer wieder, wenn die Russen trinken auch ins Gefährliche kippen kann. Teilweise bringt die Protagonistin durch ihre Sturheit und Naivität, was ja bei einem so jungen Mädchen durchaus normal ist, sich selbst und andere derart in Schwierigkeiten, dass man als Leser oft die Luft anhalten muss und überrascht ist, dass sie so viel Glück hat und manche Szenen tatsächlich überlebt hat. Im Gegensatz zu ihrer Schwester, die sich vor allem fürchtet, scheint sie weder Angst noch irgendeine Vorsicht zu kennen. Die Figuren sind wundervoll gezeichnet, vor allem die Russen und da insbesondere der Koch Cohn werden so tief, liebevoll und menschlich vielschichtig dargestellt, dass es eine Freude ist. Die Grenzen zwischen den ehemaligen Feinden verwischen immer mehr – am Ende sind alles nur Menschen mit guten und mit schlechten Eigenschaften. Zu diesem Roman gibt es auch einen wundervollen Film , der 2016 in die Kinos kam und eine Fortsetzung (Zwei Wochen im Mai), die ich unbedingt auch noch lesen will, denn die Geschichte endet leider sehr bald mit dem Abzug der Kampftruppen und mit dem Auszug der Familie aus dem hochherrschaftlichen Haus, weil die Eigentümerin natürlich wie so viele Opportunistennazis überlebt hat, ihren Besitz wiederverlangt und die Haushüter hinausschmeißt. Fazit: Absolute Leseempfehlung,wenn man Jugendliteratur zu schätzen weiß.

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