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Mit "Süßwasser" hat die nigerianisch-tamilische Autorin Akwaeke Emezi einen faszinierenden Debütroman geschrieben, der in spirituelle Traditionen Westafrikas und den Geisterglauben der Igbo eintaucht. Es ist auch eine Geschichte um die Suche nach Identität, von Spaltung und Selbstzerstörung. Ada ist ein eher schüchternes, fleißiges Mädchen aus guter Familie. Der Vater ein nigerianischer Arzt, die Mutter eine indonesische Krankenschwester, ein älterer Bruder, eine jüngere Schwester. Und wie es sich für das Mitglied einer ehrgeizigen westafrikanischen Mittelschichtfamilie gehört, wird auch sie zum Studium in die USA geschickt – für die behütet aufgewachsene junge Frau erst einmal ein Kulturschock. Sex und Drogen, für viele ihrer Mitstudenten ganz normal, sind für Ada ausgeschlossen. Da ist Asughara vollkommen anders. Sie ist sexuell geradezu aggressiv, fühlt sich dann am lebendigsten, wenn die Lust intensiv ist, die stets auch einen gewalttätigen Beigeschmack hat. Ob Mann oder Frau – Asugura nimmt sich, wen sie will und wie sie will. Blut ist ihr Elixir, ein Opfer, nach dem sie verlangt. Ihre Stärke ist Adas Schwäche – denn beide teilen sich einen Körper, zusammen mit noch einigen anderen, teils namenlosen. In ihrem Debütroman „Süßwasser“ greift die in den USA lebende Autorin Akwaeke Emezi zurück auf spirituellen Glauben des Igbo-Volkes. Für westliche Mediziner wäre Ada eine gespaltene Persönlichkeit – die Igbo hingegen bezeichnen einen Menschen wie Ada/Asughara als Ogbanje. „Kinder, die kommen und gehen“ bedeutet Ogbanje in ihrer Sprache und sie sind Geisterwesen – die auch bösartig sein können – die gewissermaßen in einem Kreislauf von Geburten und Tod gefangen sind, als Mensch geboren, aber nicht von Dauer. „Ogbanje sind Schwellenwesen“, schreibt Emezi. „Geist und Mensch, gleichzeitig beides und keines von beiden.“ Ada versucht mit Selbstverletzungen die inneren Dämonen friedlich zu stimmen, doch das ist nicht genug. Sie ist sich der anderen bewusst, mit denen sie einen Körper teilt, doch erst ein traumatisches Erlebnis lässt Asughara buchstäblich hervortreten und die Kontrolle übernehmen. Wie Doktor Jekyll und Mister Hyde ringen sie um Dominanz und Kontrolle. Können sie miteinander leben? Kann ein Mensch bei Verstand bleiben, wenn ein Geist den eigenen Körper übernimmt? Emezi lässt die verschiedenen Wesen in Adas Körper zu Wort kommen. Das Ringen Ada und Asugharas, es ist beklemmend und faszinierend zugleich. Denn wenn Ada die innere Dunkelheit zu vertreiben versucht, ist sie für Ausghara lebensnotwendig – und sie wird sich dabei nicht von einem schwachen Menschen behindern lassen. Die Zerstörung einer Familie, kaputte Beziehungen, wechselnde Genderrollen, Leben zwischen Schattenwelt und Selbstzerfleischung – vielleicht ist Asughara nur ein Wahngespinst? Sinnlich, grausam, poetisch schildert Emezi das Leben mit mehreren Identitäten, in denen sich nicht zuletzt auch die ethnischen Wurzeln und die Diasporaerfahrung ihrer Protagonistin spiegeln. Fremdheit kommt von innen wie von außen. Das gilt auch für Geisterwesen. „Es war gut, Fleisch gewesen zu sein“, überlegt Asughara. „Es würde noch besser sein, nach Hause zu gehen.“