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Es gibt Frauenliteratur über Frauenfreundschaften, die wie unter einer besonders dicken Zuckerschicht begraben scheint. Überraschungen sind dabei eher nicht zu erwarten, und die Protagonistinnen in der Regel am Happy end nach obligatorischen Problemchen glücklich vereint mit dem Mann ihrer Träume. So ein Buch ist "Alte Sorten" von Ewald Arenz nicht. Um Frauenfreundschaften geht es aber schon - und zwar nicht um die Freundschaft zwischen seifenopertypischen Schablonen, sondern zwei eher spröden und schwierigen Frauen - die 17-Jährige Sally, ausgerissen aus einer Klinik zur Behandlung von Essstörungen, voller Misstrauen und Aggressionen, und Liss, die ganz alleine ihren Bauernhof bewirtschaftet und von den meisten der Dorfgemeinschaft geschnitten wird. Die Tradition des Dorfes hat sie dennoch geerbt. Man sollte sich Zeit lassen mit diesem Buch und vor allem einlassen auf Liss und Sally, der ruhigen Erzählweise folgen, die in ein Landleben einführt, wie es auch schon vor 50 oder 100 Jahren existiert hat, nur das mittlerweile Technik und Internet dazugekommen sind. Von einer Zufallsbegegnung im Weinberg über eine Schlafgelegenheit für eine Nacht zu vorsichtiger Annäherung folgen wir so der keimenden Freundschaft der ganz unterschiedlichen Frauen, die aber beide verletzlich und verletzt sind. Jeder hat ihre eigenen Narben - Sally die sichtbaren, die sie sich geritzt hat, die wortkarge Liss die unsichtbaren, die auch nach vielen Jahren nicht verheilt sind. Die harte Arbeit auf dem Hof scheint ein wenig wie eine Entsprechung der eher rauhen und kantigen Charaktere der beiden Protagonistinnen. Nicht viele Worte machen, sondern anpacken - das ist Liss´ Devise. Und dennoch hatte auch sie einmal Träume und erlebt in Sally in mancher Hinsicht vielleicht noch einmal ihr jüngeres, diesmal allerdings großstädtisches Selbst. Manche Beschreibungen der Feldarbeit, der hügeligen Landschaft, der Weinlese im Morgennebel lesen sich geradezu poetisch, nie aber sentimental. Da meint man den Geruch der aufgebrochenen Erde nach einem Landregen zu riechen, den Geschmack baumfrischer Früchte zu schmecken oder das Gegacker vom Hühnerhof zu hören. Ähnlich wie das Getreide oder die Weinreben sind auch Vertrauen und Freundschaft etwas, was langsam wachsen muss, was Geduld und Aufmerksamkeit braucht - daran erinnert auch dieses Buch. Alte Sorten - der Titel bezieht sich auf die alten Birnensorten in einem Garten hinter dem Hof, die in Sally erstmals wieder die Lust am Genuss wecken - ist auf angenehme Weise entschleunigt, dabei nicht ohne Drama. Eine sensible Außenseiterstudie, eine Coming of Age-Story, ein Porträt einer Dorfgesellschaft - dieses Buch ist vieles und ist ausgesprochen lesenswert.