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evaczyk

Posted on 2.8.2020

Wenn das Ende absehbar wird... Dad Lewis weiß. es ist sein letzter Sommer in der Kleinstadt Holt, irgendwo im Mittleren Westen der USA, wo der Blick über Getreidefelder weit reicht. Kent Haroufs "Kostbare Tage" fängt mit dem Tag an, an dem der Arzt Lewis sagt, dass er nichts mehr für ihn tun kann, dass er seine Angelegenheiten regeln muss und ihm nur noch wenige Wochen zu leben hat. Den Herbst wird er nicht mehr erleben. Manche Menschen haben eine bucket list der Dinge, die sie in ihrem Leben sehen wollen, der Orte, die sie besuchen wollen. Dad Lewis, der die Kleinstadt nie verlassen hat, hat nichts dergleichen. Er hatte ein kleines, unspektakuläres Leben, mit dem er im großen und ganzen zufrieden war: Die Eisenwarenhandlung, die er aufgebaut hat und die er auch mit über 70 weiter geleitet hat, bis er eben zu krank dafür war. Zwei Kinder - Tochter Lorraine kommt nun nach Holt zurück, um die Familie zu unterstützen. Zu Frank, dem Sohn, gibt es seit Jahren keinen Kontakt. Dass sein Sohn schwul ist, hat Dad Lewis nie verwunden. Während die Zeit verrinnt und sich sein Zustand immer weiter verschlechtert, kommt Lewis ins Nachdenken über diesen Bruch, unter dem vor allem seine Frau Mary leidet, die zwischen den beiden Männern zu vermitteln versuchte und sich nach wie vor nach Frank sehnt. Dad Lewis weiß, er hat sich um ein anständiges Leben bemüht, auch wenn er nicht alles richtig machte. Mary allerdings ist der große Treffer in seinem Leben. Wenn Harouf dieses alte Ehepaar beschreibt, dass nach einem halben Jahrhundert zärtlich-liebevoll miteinander umgeht, das auch in der Krise erst einmal an den anderen und seine Bedürfnisse und Nöte denkt - das ist eine ebenso wunderschöne wie unspektakuläre Liebesgeschichte. Die Erzählweise Haroufs entspricht der weiten Landschaft und dem gemächlichen Tempo der Kleinstadt, in der alles etwas langsamer zu gehen scheint - selbst wenn einem wie Dad Lewis die Lebenszeit zwischen den Fingern verrinnt. Ruhig, ohne zu hadern, verbringt die Familie die verbleibende Zeit. Nachbarn kommen zur Unterstützung, die Gemeindeschwester bringt schmerzstillende Medikamente. Dad Lewis hat das Glück, zu Hause sterben zu können, ohne Intensivmedizin im Krankenhaus, ohne strapazierende Therapien, die das Ende nur herauszögern können. Es ist etwas Tröstliches und Ruhiges in dieser Art, langsam aus dem Leben zu schwinden. "Kostbare Tage" enthält Wehmut, aber keine Resignation. Es ist ein Buch vom Abschiednehmen und Loslassen, von Dankbarkeit für das, was war und starken Frauenfiguren, die nach den Maßstäben der aufgeregten Internetgesellschaft zwar unscheinbar und unspektakuläre sein mögen, die als alte und alternde Frauen übersehen und unsichtbar gemacht werden, die aber ohne große Worte und ohne Aufsehen Courage, Solidarität und Tatkraft zeigen.

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