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elena_liest

Posted on 28.7.2020

"Straßen wie die, in der sie lebte, waren kein Versehen. Sie waren sozusagen die Lynchmobs des Nordens, dachte sie bitter. Auf diese Weise hielten Großstädte die Schwarzen gefügig." - Ann Petry, "The Street" Als Lutie Johnson ihren Ehemann beim Fremdgehen erwischt, schnappt sie sich ihren Sohn Bubb und zieht zu ihrem Vater. Dort wimmelt es jedoch nur so von schlechten Einflüssen, weshalb es Lutie in eine eigene Wohnung zieht. In der 116th Street in Harlem wird sie schließlich fündig - trotz des Elendsviertels und trotz des schlechten Gefühls, das sie gleich beim Einzug überkommt. Täglich kämpft sie darum, ihrem nun 8-jährigen Sohn ein besseres Leben zu ermöglichen und steuert so unausweichlich auf eine Katastrophe zu. "The Street - Die Straße" erschien bereits 1988 im Ullstein-Verlag in der Reihe "Die Frau in der Literatur". 2020 wurde im Nagel & Kimche-Verlag endlich eine Neuauflage dieses grandiosen modernen Klassikers veröffentlicht. Das Werk wurde 1946 erstmals im amerikanischen Original publiziert und war ein Sensationserfolg: das Buch verkaufte sich über 1,5 Millionen Mal. Dieser Erfolg kommt nicht von ungefähr: Ann Petry hat mit Lutie Johnson eine Protagonistin geschaffen, die es auf vielerlei Arten im Leben nicht leicht hat, denn sie ist eine arme, Schwarze Frau. Dadurch erlebt sie täglich Rassismus, Sexismus und Gewalt. Um sich und ihren Sohn aus diesem Strudel der Ungerechtigkeit zu befreien, nimmt sie vieles auf sich. Als ihr nach einer spontanen Gesangseinlage in einer Bar ein Arrangement als Sängerin angeboten wird, willigt sie blauäugig ein, arbeitet zusätzlich zu ihrem Bürojob auch noch Nachts in einem Casino - und wird doch am Ende nur wieder von dem Schwarzen Band-Leader Boots Smith ausgenutzt. Von ihrem ersten Tag in der Mietswohnung an wird sie von dem zwielichtigen Hausmeister sexuell belästigt, trotzdem findet sie keinen Ausweg. Auch die mit im Haus lebende Puffmutter versucht Lutie ständig zu einem Arrangement mit dem weißen Junto zu drängen, dem das halbe Viertel in Harlem zu gehören scheint. Alle Versuche Luties, aus diesem Leben auszubrechen, ziehen sie am Ende nur noch weiter in die Abwärtsspirale des Ghettos. Besonders an Ann Petrys Roman ist die Vielschichtigkeit der Charaktere. Sie belässt es nicht dabei, das Verhalten der Personen gegenüber Lutie zu schildern, sie erzählt zusätzlich auch ihre Geschichte. Es wird ergründet, wie die Menschen so geworden sind, wie sie sind, was ihre Beweggründe sind, wie die Gesellschaft und die Strukturen sie in diesen unendlichen Kreislauf aus Armut und Gewalt hineingedrängt haben. "The Street - Die Straße" mutet teilweise fast wie ein Thriller an. Es liegt etwas Düsteres über den Seiten, die schrecklichen Schwingungen sind zwischen den Zeilen spürbar, die Katastrophe von der ersten Seite an unvermeidlich. Diese immerwährende Spannung hat diesen Klassiker für mich dann am Ende zu einem Highlight gemacht. Dieses Buch sollte unbedingt von mehr Menschen gelesen werden - denn es hat auch heute noch nichts von seiner Aktualität verloren. Auch das Nachwort der Autorin Tayari Jones fand ich unglaublich gut gelungen. Ich spreche eine große Empfehlung für diesen hier in Deutschland lange aus den Augen verlorenen Klassiker aus. Ann Petry lässt politisch brisante Themen auf sprachliche Brillanz und Thrill treffen - einfach großartig! Von mir gibt es 5 / 5 Sternen.

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