Profilbild von awogfli

awogfli

Posted on 17.6.2020

Ich war schon ewig lange nicht mehr soweit, ein Buch fast abzubrechen wie dieses, weil es mich gar so geärgert hat. Ein Werk mit derart viel Potenzial verkommt ab der Hälfte nur noch zu einem geschwätzigen Stückerl Papier ohne Substanz, Entwicklung und Aussage. Ja Franzen kann tatsächlich ein bisschen gut formulieren, aber das ist meiner Meinung nach schon alles, was er mit diesem Roman positiv - letztendlich wenn man es gesamt betrachtet - in die Waagschale werfen kann. Dabei beginnt die Geschichte sogar extrem ambitioniert: Eine Familie, mehrere vordergründige Dramen ein paar ernsthafte Probleme, wie die Demenz des Familienoberhauptes, unter der Oberfläche brodelnde Beziehungs-Konflikte und Personen mit sehr fiesen Tendenzen, lassen die Story bis ca. Seite 400 sehr vielversprechend wirken. Das wäre nun kein Drama, wenn sich das Finale in den letzten 100-200 Seiten auflösen würde, aber bei Seite 400 sind wir leider erst in der Mitte dieser Lesefolter angelangt. Also Franzen hat uns die Familie Lambert aufgestellt und die fiesen Winkel der Persönlichkeiten vor uns ausgebreitet.... und dann passiert zumindest mit den Figuren und dem Plot fast gar nichts mehr. Der Autor drückt sich davor, dem Leser zu erklären, warum er die Beziehungsgeflechte so konzipiert hat. Die Figuren werden auf 400 Seiten fast gar nicht mehr entwickelt, bis auf das letzte Kapitel, aber da hatte ich als Leserin die Schnauze schon so voll von dieser Papierverschwendung und Leserverarsche, dass es nicht mehr ins Gewicht fiel. Der Antrieb der fiesesten Haupt-Figuren der Famile wie beispielsweise jener von Caroline oder auch die Gründe für Denises Verhalten bleiben für immer im Dunkeln, auf die wartet der Leser vergeblich. Stattdessen werden mit erzähltechnischen Schnörkeln und Verzettelungen, Motive und Lebensgeschichten von für die Geschichte völlig irrelevanten Personen wie zum Beispiel die Zufallsbekanntschaft am Kreuzfahrts- Restauranttisch, oder die gesamte Abteilung von Denises erstem Ferialpraktikum ausgebreitet. Wenn mir jetzt jemand mit den Worten Karaseks kommt "Aber der Subplot ist grandios", dann muss ich leider darauf verweisen, dass ein grottenschlechter Plot nicht mit einem Subplot kompensiert werden kann. Mammamia es ist der eigentliche Job des Autors, eine konsistente spannende Geschichte zu erzählen und die Hintergründe und Motivationen der "Handelnden Figuren" zu erleuchten und nicht jene von Humsti und Bumsti, die uns zufällig über den Weg rennen. Manchmal kann man wirklich meinen, der Autor hätte ab der Mitte, die Lust an den eigentlichen Figuren verloren. Was ist eigentlich mit den Kritikern los, die diesen Roman als grandios bezeichnet haben. Manchmal kommt mir vor, die lesen so viel und sind so konzentriert auf Kritik, dass sie sich nur noch für die Schnörkel am Rande interessieren und dabei die zentrale Geschichte komplett aus den Augen und aus ihrem Fokus verlieren. Um es mit den Essensmethaphern aus dem Denise Kapitel zu untermauern, das war so wie in den Zeiten von Boccuse oder heute bei Adrian Ferreira in der Küche, in der das Essen und der Geschmack die Bedeutung verlieren, weil man sich nur auf Chichi-Mini Anrichtung (Boccuse) oder unerwartete Textur mittels Chemie (Ferreira) konzentriert. Die eigentliche Dienstleistung wird so auf Randaspekte reduziert und dekonstruiert, dass sie keine ursprüngliche Dienstleistung mehr ist. Der Roman ist kein Roman, keine Geschichte mehr und das Essen kein Essen, sondern nur mehr Chemie. Und dieser Plot ab der Kreuzfahrt ist zäh wie Sirup und zieht sich wie amerikanischer Kaugummi. Muss man über Denise wirklich seitengreifend und raumfüllend ihre ganzen Sexualerfahrungen der Jugend ausbreiten, ohne irgendeinen eigentlichen Konflikt in Beziehungen z.B. mit den Eltern oder den Brüdern zu beleuchten? Und was soll dieses komplett unnötige laange Kapitel in Litauen? Wir lernen einen relativ unwichtigen Arbeitgeber von Chip genauer kennen als Chip himself. Ja so ist dieser Roman von Franzen, der Autor hat sich wirklich erfolgreich davor gedrückt, seine eigentliche Geschichte seinen Roman zu Ende zu erzählen, indem er den Leser mit unwichtigen Details vollstopft. Ab der Szene mit dem Scheißhaufen (ja Ihr hört richtig - es gibt tatsächlich eine Unterhaltung mit einem Scheißhaufen in einer Demenzphase des Familienoberhauptes Alfred), war das Papier auf dem die Geschichte geschrieben steht, meiner Meinung nach nur mehr zum Wegwischen desselben zu gebrauchen. Ich habe ja in letzter Zeit mehrere Romane gelesen, die auch nicht gerade gradios waren und sie dennoch wohlwollend von 2,5 auf 3 Sterne aufgerundet. Warum ich das hier ums Verrecken nicht tue, ist einfach erklärt: Diese unglaubliche Frechheit, mich mit 800 Seiten Schwachsinn bis ans Ende meiner Duldungsfähigkeit zu quälen, gehört abgestraft. Mich - mit wirklich großer Lese-Leidensfähigkeit gesegnet, die in ihrem Leben bisher weniger als 10 Bücher abgebrochen hat.

zurück nach oben