awogfli
Diese dystopische Welt der Margret Atwood ist teilweise sehr schwere Kost. Der im Roman dargestellte totalitäre theokratische Überwachungsstaat Gilead im Norden Amerikas hat alle Frauen komplett entrechtet und mit ihnen auch einige Männer. Die gesamte Gruppe der Frauen ist in mehrere Schichten segregiert, die gemäß der gesellschaftlichen Regeln ordentlich gegeneinander ausgespielt werden: Eine doch relativ privilegierte Schicht der alternden Ehefrauen der wichtigen Kommandanten, die sich mit Luxusgütern vom Schwarzmarkt ablenken, die jungen weiblichen Arbeitssklaven, die Hausarbeiten erledigen und die Dienerinnen, quasi die Fickfetzen, deren einziger Zweck es ist, den alternden wichtigen Kommandanten Kinder zu schenken. Weiters noch die Frauen der armen Bevölkerungsschicht, die entrechtet alle drei Aufgaben (Küche, Bett, eheliche Repräsentation) erledigen müssen und außerhalb der Gesellschaft gibt es noch sterilisierte Prostituierte im Untergrund und ältere Frauen werden als Zwangsarbeiterin zur Beiseitigung von radioaktivem Giftmüll beziehungsweise in der Landwirtschaft eingesetzt. Eingebettet ist dies alles in ein irres theologisches Konstrukt, einem Staat der zur Bespitzelung aufruft und somit die Bevölkerung zum Exzess treibt und ganz krude moralische Lebens- bzw. Bekleidungsvorschriften entwickelt hat. Zum Beispiel ist alles, das nicht direkt die Empfängnis fördert, für die Sex-Dienerinnen verboten, das fängt sogar bei der Körperhygiene an. Die jungen empfängnisbereiten Frauen werden sommers wie winters in rote Kutten und weiße Flügelhüte gesteckt, damit sie immobil sind und auch von der Umgebung nichts sehen können, sie haben keine eigenen Namen mehr, sondern heißen so, wie sie als Sklaven-Eigentum leicht identifiziert werden können: Desfred, Deswarren, Desglen = Eigentum von Fred, Warren, Glen. Auf der Straße dürfen sie sich nur kurz und nicht alleine bewegen, im Prinzip sind sie auf ihre biologische Funktion des Gebärens reduziert und völlig entmenschlicht. Dies wird auch noch durch Religion grausam unterstützt und institutionalisiert. Alleine die Szene im Schlafzimmer zu dritt im Bett mit der Ehefrau und dem Kommanden ist widerlich, gruselig und grausam mit dem theologischen Begleitbrimborium regelrecht grotesk. Nach und nach enthüllt uns auch die Autorin glaubwürdig, wie es zu einer derartigen dystopischen Zukunft kommen konnte. Ein Putsch von Religionsfanatikern setzte zuerst alle Gesetze außer Kraft. Da alle Barvermögen nur noch virtuell vorhanden waren, konnten die Frauen sehr schnell ihrer ökonomischen Selbständigkeit beraubt werden. Ihre Vermögen wurden zuerst auf die Ehemänner übertragen, die sich vorerst gerne korrumpieren ließen und sich zunächst in der Rolle des allmächtigen Totalversorgers nur allzusehr gefielen. Nach und nach wurden dann die einzelnen weiblichen Bevölkerungsschichten Zug um Zug entrechtet. Zuerst nur die jungen ledigen Frauen dann jene, die bereits ihre zweite Ehe eingegangen waren und erst nach und nach die anderen Gruppen. Getreu dem Motto: "Als die Nazis die Kommunisten holten, habe ich geschwiegen; ich war ja kein Kommunist. Als sie die Sozialdemokraten einsperrten, habe ich geschwiegen; ich war ja kein Sozialdemokrat. Als sie die Gewerkschafter holten, habe ich geschwiegen, ich war ja kein Gewerkschafter. Als sie mich holten, gab es keinen mehr, der protestieren konnte." wurde die weibliche Bevölkerung ausgetrickst. Vereinzelt auftretende Demonstationen wurden mit einer Spezialpolizei beinhart niedergemetzelt, und so kristallisiert sich in Rückblenden der Weg zur dystopischen Welt heraus. Wer in diesem Roman die Parallelen zu George Orwell findet, mag bezüglich Überwachungsstaat Recht haben, ich kann aber dieses Werk als Hauptquelle der Inspiration so gar nicht ganz nachvollziehen, zu sehr unterscheidet sich die Fiktion von Orwell von Atwoods Gedankenwelt. Viel mehr glaube ich, hat sich die Autorin wahrscheinlich von realen Ereignissen und den radikalen Umbrüchen im theokratischen Staat Iran in der 70er Jahren inspirieren lassen. Wer diese Welt nämlich nur als Dystopie sieht, verschließt leider die Augen davor, dass 90% der geschilderten Welt 1979 im Iran und eigentlich schon immer schleichend in Saudi Arabien aber auch bei den Taliban passieren: Zum Beispiel: Die weibliche saudische Oberschicht, völlig eingespert, als einzige Daseinsberechtigung zum Lebenszweck der Reproduktion geduldet, zwangsverheiratet, in Unbildung und Untätigkeit gehalten und ihre völlige emotionale Leere Luxusartikel shoppend und ihr filipinisches und anderes ausländisch-muslimisches komplett entrechtets Hauspersonal quälend, ertragend. Die Männer, die bei jeglicher Vergewaltigung das Opfer bestrafen dürfen und ohne irgendwelche Grenzen auch Gewalt über Leben und Tod in ihrer Familie und in ihrem Haushalt ausüben können.. Lediglich die Farbe des Ganzkörperkondoms variiert. In Saudi Arabien ist es schwarz, bei den Taliban blau und in der Dystopie der Margret Atwood rot. Übrigens sehe nicht nur ich dies so, sondern auch die New York Times verglich Saudi Arabien mit der Atwood Dystopie. https://www.nytimes.com/2017/05/24/op... Da gruselt es mich ob der prophetischen Wirkung dieses Werkes und eigentlich der genauen Bechreibung der Realität, wenn man sich denn wirklich auf den Vergleich einlassen will und nicht immer verdrängt, dass diese Welt weit weit weg ist bzw. utopisch sein möge. Fazit: Harte Kost, teilweise schwer zu ertragen, aber sehr lesenswert.