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awogfli

Posted on 31.5.2020

Mein Anstoß, Kleists Drama als Erwachsene erstmals zu lesen, kam übrigens von Marc-Uwe Kling aus seinem Roman Qualityland, der seinen Protagonisten Peter Arbeitsloser mit Michael Kohlhaas verglich, und ich glaube, mein Lesefreund Manuel tat dies auch gleich zu Beginn meiner Statusmeldungen, obwohl er Qualityland noch nicht gelesen hatte. Hier musste ich erstmals feststellen, dass ich dringend und schleunigst eine echte Bildungslücke zu stopfen hatte. Als Österreicherin englische Literatur nicht zu lesen (nicht mal Shakespeare), halte ich nicht für eine Bildungslücke, wenn mir aber im Deutschsprachigen etwas fehlt, das auch noch in der heutigen Zeit oftmals zitiert wird, muss ich so etwas sofort reparieren... Puh die Sprache ist wirklich extrem mühsam: Eine Novelle geschrieben um 1800 mit der Sprache des 16. Jahrhunderts. Bei der wenig adäquaten Sprache rede ich übrigens nicht von den verschachtelten Bandwurmsätzen, die sich oft sogar über die ganze Seite des Reclamheftes ziehen - im Gegenteil, so etwas liebe ich sogar und nehme das ganze immer als sportliche Herausforderung an. Ich spreche von den unzähligen mittelalterlichen Vokabeln dieses Justizdramas, die einfach so fern von unserer heutigen Sprache sind, dass sie wie chinesisch anmuten. Auch aus dem Kontext heraus sind sie schwierig zu erraten, da sie des öfteren einen juristischen Hintergrund haben. Ehrlich gesagt, bei einem jiddischen Buch verstehe ich mehr als doppelt so viel. Wenn ich die Sprache nicht gut genug kann, ist mir immer der Lesefluss vergällt, weil ich dauernd soviel nachschlagen muss, das ist auch der Grund, warum ich nicht gerne fremdsprachige Literatur (auch keine englische lese). Wenn so etwas dann auch noch auf ein deutschsprachiges Werk zutrifft, ist es doppelt so unangenehm. Kein Wunder, warum so viele Schüler es hassen, diese Pflichtlektüre zu absolvieren, denn kein Mensch kann heutzutage diese Sprache. Mir ist die Novelle ja als Liebling des Deutschlehrers (😂 das war ich wirklich - habe ihn erst vor 2 Jahren anläßlich meines 30jährigen Maturajubiläums getroffen und er schwärmt immer noch von mir als Schülerin) erspart geblieben, denn mein Deutschlehrer war stets zufrieden mit der Auswahl meiner Wahl-Bücher zu den Buchbesprechungen und drückte mir somit nie eine Zwangslektüre aufs Auge, aber ich kann mich vage erinnern, irgendwen in der Klasse hat es mit dem Kleist erwischt. Nun aber zum Inhalt des Werks, der im Gegensatz zur Spache wirklich außergewöhnlich großartig ist und auch in heutigen Zeiten Jahrhunderte später derart modern anmutet, dass es eine Freude ist. Gerade in der heutigen Zeit als in Österreich und in Ungarn der Rechtsstaat gegenwärtig abmontiert wird, ist das Thema aktueller denn je. (Siehe Staatsanwaltliche Untersuchungen gegen Innenminister Kickl FPÖ, die auf Weisung eingestellt werden, oder Politiker, die im Parlarment brüllen "Niemals haben wir uns damit abzufinden, dass Gesetze uns in unserem Handeln behindern" Dagmar Belakovitsch FPÖ) Wenn durch Korruption, Unterschlagung von Dokumenten, Freunderlwirtschaft und Rechtsbrüche der Rechtsstaat ausgehobelt wird, darf man sich nicht wundern, dass irgendwann ein Untertan durchdreht, sich dies alles nicht mehr gefallen lässt und zur Selbstjustiz greift. So passiert es in einer mittelalterlichen Gesellschaft. Der Pferdehändler Michael Kohlhaas hat Recht in seiner relativ geringfügigen juristischen Angelegenheit gegen den Junker von Troncka, aber da die Verwandten dieses Nichtsnutzes überall an den Schalthebeln der Justiz und der Verwaltung sitzen und sich nicht genieren, diese Ämter auch zu Gunsten des entfernten Verwandten zu missbrauchen, hat Kohlhaas keine Chance. Dabei geht es ursprünglich nur um zwei Pferde, die sich der Junker unerlaubt einverleibt hat. Der Pferdehändler besteht auf seinem Recht, wird zwar irgendwie als starrsinnig und spießig dargestellt, aber wenn man sich die Zeit ansieht, dann waren damals zwei Pferde auch grad keine Petitesse im Vermögen eines Bürgers. Und wenn jemand Recht hat, darf er auch auf diesem Rechtsweg bestehen, die niedrigen Adeligen sind der Gerichtsbarkeit genauso unterworfen, wie alle anderen Bürger. Als die Frau von Kohlhaas so nebenbei lapidar bei der Einreichung eines Bittgesuchs getötet wird und sein Diener zusammengeschlagen, dreht Kohlhaas verständlicherweise durch und greift zur Selbstjustiz, die auch noch recht erfolgreich ein Heer von gewaltbereiten Anhängern findet, denn es ist ziemlich viel faul im Staate Sachsen, in dem die niederen Adeligen meinen, sie könnten sich über das Gesetz stellen und mit den Bürgern machen, was sie wollen. Von Martin Luther persönlich überredet und durch eine Amnestie vom Kurfürsten pardonniert, legt er die Waffen nieder und bestreitet seinen Rechtsweg erneut. Durch Intrigen der Verwandten von Troncka werden aber alle Abmachungen seitens der Adeligen und der Gesetzgeber durch juristische Finten, Dokumentenunterschlagungen, Fristenverkürzungen, Korruption etc. gebrochen. Mittlerweile sind nicht nur die Tronckas involviert, das juristische Tohuwabohu wird auch noch durch unterschiedliche Zuständigkeiten der Kurfürstentümer Brandenburg und Sachsen verschlimmert - bis zum Kaiser in Wien geht die Angelegenheit, die natürlich von den Adeligen falsch dargestellt wird und ein Todesurteil für Kohlhaas nach sich zieht. Am Ende bekommt er groteskesterweise in der Ausgangs-Petitesse Recht - nämlich seine zwei Pferde werden ihm retourniert - er selbst wird jedoch wegen Selbstjustiz zum Tode verurteilt. Der Staatenbund übernimmt keine Verantwortung für die Korruption, die das Leben von Kohlhaas Frau gekostet hat. Ein großartiges, nicht gut endendes Justizdrama, das auch 2019 spielen könnte. Fazit: Inhalt topmodern - Sprache einfach nicht mehr zeitgemäß und richtig mühsam deshalb 3,5 Sterne. Da ich persönlich immer Inhalt vor der Präsentation bewerte, selbstverständlich auf 4 Sterne aufgerundet.

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