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awogfli

Posted on 29.4.2020

Die Pilgerreise des Harold Fry ist eine berührende bittersüße aber auch traurige Geschichte über ein fast vergeudetes Leben und Szenen einer sprachlosen Ehe, die durch ein Unglück und das darausfolgende Trauma quasi eingefroren ist. Harold hat Pensionsschock - während er zu Fuß quer durch England von Süden nach Norden zu seiner krebskranken Freundin Queenie wandert und pilgert, die mit dem Sterben auf ihn warten soll, reflektiert er sein Leben: sein Versagen als Vater - er war zu zurückhaltend, hat sich nie eingebracht, weder in die Beziehung zu seinem Sohn als auch zu seiner Frau Maureen - die Kommunikationsverweigerung des Paares, die aus der Ohnmacht und der Trauer resultiert und sich derart manifestiert hat, dass die Erstarrung nahezu eingemeisselt ist. Das ist recht traurig! Im ganzen Buch ist der Weg das Ziel, Harold wandert, denkt nach, reflektiert und wird irgendwann sogar eine kleine Berühmtheit. In diesem Abschnitt droht der Roman tatsächlich kurz ins Kitschige abzudriften, aber die Autorin kriegt sehr schnell wieder die Kurve. Denn nun transformiert sich der introvertierte Harold zum Propheten, zum Guru wider Willen, der von seinen Jüngern total missverstanden wird und diese mühsamen Menschen an der Backe hat. Sie stören ihn in seiner eigentlichen Mission, aber er kann sie natürlich nicht verraten auch wenn sie seine ureigensten Ziele uminterpretieren und ins Gegenteil verzerren. Das erinnert mich ein bisschen auch an Jesus - der, wäre er heute hier und könnte uns konfrontieren, entsetzt wäre, wie sehr seine Adepten seine Lehre und seine Ziele ins Gegenteil verzerrt haben. Diese leise nachdenkliche Geschichte schrammt immer kurz an der Grenze zum Kitsch vorbei, schießt aber meiner Meinung nach ganz selten darüber hinaus. Am Ende zeigen sich andeutungsweise bereits erste Symptome einer Demenz und Alzheimererkrankung, die erstens einiges an Harolds Verhalten ab der Mitte der Pilgerreise erklären und dem vorläufigen Happy End zwischen Harold und Maureen einen sehr traurigen Touch verpassen, denn es wird nicht von Dauer sein. Einige Rezensionen, die ich vorher über dieses Buch gelesen habe, waren wenig schmeichelhaft, ich möchte hier mal eine Lanze für Harold brechen und ausnahmsweise diesen entgegentreten. Also ich finde den Vergleich des Buchs von Rachel Joyce mit Paolo Coelho (den ich bereits sehr oft niveaumäßig auf Fußknöchelhöhe bezeichnet habe) sehr gemein, denn hier gibt es nicht irgendwelche abgehobene esoterische Gleichnisse von total unrealistischen Figuren, sondern Harold, der Pensionist wie Du und ich, rollt ganz authentisch in sich zentriert sein trauriges, vergeudetes Leben auf. Natürlich ist die Geschichte etwas emotionaler als viele andere, aber das heißt ja nicht, dass Emotionen immer schmalzig sein müssen. Auch die Forrest Gump-Analogie ist nich ganz gerecht, denn Harold ist nicht der tumbe Tor, der durch die Geschichte stolpert sondern ein extrem aktiver Verdänger, wie viele von uns. Auch dieses Treiben durch die Weltgeschichte in Form einer Pilgerreise mit einer besonderen Naivität ist meiner Meinung nach mehr den typischen britischen Gesellschaftskonventionen, immer höflich zu sein und nie anecken zu wollen und auch noch den ersten Symptomen der Demenz geschuldet, als tatsächlich der schlichten blauäugigen Einfältigkeit. Fazit: Also wer nichts gegen a bissi was emotionaleres hat, ist hier mit diesem Buch gut aufgehoben. Eines möchte ich nochmals klarstellen, die Geschichte ist meiner Meinung nach gar nicht schmalzig, und das hört Ihr von mir, bei der sich in jedem Frauenroman - wenn der Kitsch und das Schmalz oder irgendwas Romantisches kommt - normalerweise die Zehennägel schmerzhaft aufdrehen.

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