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awogfli

Posted on 29.4.2020

Manchmal darf es bei mir auch ein Regionalkrimi sein. Meine Qualitätskriterien in diesem Genre sind: Spannung, ein nicht durchsichtiger Plot, exzellente Figurenentwicklung, einigermaßen anspruchsvolle Sprache, gute Ortsbeschreibungen und dicht beschriebene Stimmungen, lustiges Mörderraten, nachvollziehbare Motive, ein Ende, das nicht an den Haaren herbeigezogen ist und die Vermeidung von jeglicher schmalziger Romantik. Romy Fölcks Krimi erfüllt diese Aufgaben auf jeden Fall gut, sicher wesentlich besser als der Durchschnitt der unzähligen Romane in dieser Gattung. Am besten hat die Autorin im Rahmen der Figurenentwicklung und bei der Stimmungsbeschreibung gearbeitet. Frida, eine junge ehrgeizige Polizistin auf dem beruflichen Erfolgsweg zur Kommissarin muss von Hamburg kurzfristig wieder in ihr Heimatdorf zurück, da ihr Vater niedergeschlagen wurde und ins Koma gefallen ist. Dort wird sie zuerst mit der desolaten wirtschaftlichen Lage des Apfelbauernhofs der Eltern konfrontiert, muss schleunigst ein paar Brände löschen und dringende Probleme lösen. Weiters trifft sie ihre alten Freunde und Bekannten wieder und ein paar uralte Traumata brechen auf. Der Mord an ihrer Freundin Marit ist noch immer nicht aufgeklärt. Frida hat Kommissar Haverkorn, der sich nun erneut an ihre Fersen heftet und den Cold Case aufklären will, als 13-jähriges Mädchen wichtige Details zum Mörder aus Angst verschwiegen. Auf Seite 120 könnte der Leser meinen, der Roman sei schon zu Ende, denn der Täter des Mordes aus den 90er Jahren ist nun klar, Frida hat als Kind zuerst aus Angst geschwiegen und als Polizistin deshalb, weil der Mörder relativ bald nach der Tat bei einem Autounfall gestorben ist, und sie seinen Vater nicht noch mehr belasten wollte. Lediglich der feige Anschlag auf ihren Vater ist noch ungeklärt, aber da werden die Spuren von der Autorin auf massive Grundstücksspekulationen gelegt. Dann macht der Plot eine Kehrtwende um 180 Grad (so etwas ist immer ganz mein Geschmack) und alles wird in Frage gestellt, der vermeintliche Mörder von Marit war es gar nicht, weitere Verbrechen geschehen, sind alle miteinander verflochten und werden offenbar: Mord, Totschlag, Brandstiftung, Entführung … die Entwicklung ist sehr rasant und man kann das Buch kaum weglegen. Die Autorin beschreibt wundervoll die Dorfgemeinschaft, die angehende Kommissarin Frida und ihre Probleme, die Kinderfreundschaften aus der Vergangenheit und die Erwachsenen der Gegenwart, die Landschaft und die Apfelhöfe, deren Duft man förmlich riechen kann, Kommissar Haverkorn mit all seinen gesundheitlichen und privaten Problemen, der kurz vor seiner Pensionierung noch Lunte gerochen hat und endlich diesen alten Fall, seinen ersten Fall und gleichzeitig Misserfolg als Leiter der Mordkommission aufklären will. Auch das ambivalente Verhältnis von Haverkorn und Frida wird ziemlich ausführlich und psychologisch sehr aufschlussreich thematisiert und analysiert, das ist wirklich große Klasse. Der wahre Mörder kristallisierte sich für mich zwar relativ früh vor dem Ende heraus, was mir aufgrund der nicht ganz so zahlreichen Verdächtigen ein bisschen die Lust am Mörderraten nahm, aber nicht alle Taten aus Vergangenheit und Gegenwart hätte ich so eingeschätzt und die Motive werden auch sehr konsistent und realistisch dargelegt. So geht ordentliche Krimiunterhaltung. Fazit: Ein spannender Pageturner, der Krimi erfüllt alle relevanten Anforderungen an eine schlaflose Nacht, in der man dieses Buch dann nicht mehr weglegen möchte. 3,5 Sterne wohlwollend aufgerundet auf 4.

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