awogfli
David Fuchs ist für mich ein Phänomen. War ich schon bei seinem Debütroman Bevor wir verschwinden schwer begeistert, so bin ich nun wieder total von den Socken, und erstaunt, wie einfach es scheint, gute Literatur zu erschaffen. Der Autor erzählt ganz simpel eine hervorragende, aus dem Leben gegriffene Geschichte ohne sprachliches Schnick-Schnack, Bandwurmsätze, metaphernschwangere Beschreibungen oder sonstigen Firlefanz. Sehr viele Dialoge befinden sich in dieser Story, die er ausnehmend gut und spannend zu konzipieren weiß, die aber völlig unangestrengt wirken, als wären sie nur so von einem Anfänger daher erzählt. Entweder hat er ein geniales Talent, oder dieses Werk ist in seiner bewusst konstruierten Einfachheit ein gehöriges Stück Arbeit. Die Leser*in hat das Gefühl, nicht in fiktive Literatur, sondern schlicht ins Leben geworfen zu werden. Sofort ist man mittendrin in dieser verzwickten Situation in der Alters-WG. Daniel, verhinderter Wissenschaftler, der bisher als Biologielehrer sein Dasein fristete, hat ein Sabbatical genommen und somit viel zu wenig zu tun. Mangels Problemen hat er auch keine Perspektiven oder eine Idee, was er mit der freien Zeit anstellen soll. Aus diesem Grunde möchte er seinen bei der Großtante in der Garage abgestellten Porsche Boxster wieder in Betrieb nehmen. Bei seinem schon jahrelang her liegenden Besuch findet er Tante Klara in einer Art Geriatrie-WG, in der die schon sehr betagte Tante etwas mühsam ihren dementen Mann Alfred und den an Kehlkopfkrebs erkrankten Nachbarn Heinz pflegt und versorgt. Die drei alten Leute haben sich so recht und schlecht in ihrer Situation eingefunden und Tante Klara versucht, einigermaßen selbstbestimmt alle anfallenden Probleme teilweise eben nicht mit perfekten Methoden zu meistern. Als Daniel der Situation gewahr wird, hat er zuerst Mitleid, will helfen, aber mischt sich sofort viel zu viel ein, indem er alles besser weiß und anders machen will. Dieser Konflikt zwischen Überforderung der Tante, das Ringen um Selbstbestimmung, um nicht vom „Helfen-wollenden“ Neffen total entmündigt zu werden, ist sehr spannend. Hier bekommt das Sprichwort „gut gemeint ist nicht gut“ eine überlebensnotwendige Bedeutung. Sehr gut werden dieser Kampf und die Annäherung der Positionen in Form von Streit in Dialogen aufgebaut. Eine kleine Liebesgeschichte mit Maria, der Tochter von Heinz, wird auch noch als Garnitur auf das ohnehin schon gute Familiendrama gesetzt, wobei der sehr pragmatischen Polizistin Maria, die ja schon lange mit dieser Situation im Nachbarhaus lebt, auch die Rolle der Beschwichtigerin zukommt, die Daniel immer runterholt, wenn er aus gut gemeintem Helfersyndrom droht, allzu übergriffig das Leben der drei Senioren zu verändern. Sie übernimmt als Anwältin und Fürsprecherin mit Blick auf Hilfestellung die Agenden der Senioren und ihrer Bedürfnisse nach einem Mindestmaß an Autonomie. Diese Position wird vom Autor aber nicht mit der Brechstange vertreten, sondern Maria versucht auch, die Position und die Sorgen von Daniel zu verstehen und ganz sensibel Kompromisse für beide Seiten zu finden, da, wo sie unbedingt notwendig sind. Das ist richtig wundervoll. Kaum hatte ich mich in dieser zwar nicht konfliktfreien, aber dennoch sehr liebevollen Geriatrie-Kommune geistig und emotional gut eingerichtet, holte mich dieser Fuchs von Herrn Fuchs doch tatsächlich durch eine 180 Grad Wendung nochmals aus meiner Wohlfühlzone. Wahnsinn! Da dreht der Plot auch noch in ein nicht aufgearbeitetes, plötzlich eskalierendes, vergangenes Familiendrama mit einer ganz hässlichen Missbrauchsgeschichte. Das war wirklich ein überraschendes Ende und gibt der schon fast ins gemächliche ausklingenden Story nochmals den letzten Kick. Grandios! Fazit: Diesen Autor muss man sich für die Zukunft merken! Das Buch ist alleine schon durch das in den ausgezeichneten Dialogen behandelte Thema und den gut gemachten spannenden Plot großartig. Unbedingt lesen!