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awogfli

Posted on 11.4.2020

Runter vom Elfenbeinturm hinter die Kulissen der Wissenschaft geblickt Als ich hörte, dass es ein Buch mit dem Titel Nerds retten die Welt gibt, war mir sofort klar, das muss ich haben, bin ich doch auch seit 1990 auf einigen Universitäten arbeitend und ganz konkret fast immer auf den Wissenschafts-Nerd-Instituten beschäftigt. Sibylle Bergs Werk ist ein sehr innovativer, größtenteils sehr spannender Beitrag zur Funktionsweise und zum Einblick in die Wissenschaft, der aber gegen Ende des Buchs das prinzipiell sehr gute Konzept mit sehr schlecht gewählten Interviewpartnern und schlecht gestellten Fragen noch ganz schön arg vergeigt. Also, das Konzept ist, dass die Autorin mit Wissenschaftlern aus sehr unterschiedlichen Fachgebieten Interviews führt. Dabei werden die Forschungsgegenstände der Befragten, ihre Einschätzung zur Lage der Welt und den Beitrag ihrer Wissenschaft zur Gesellschaft insgesamt thematisiert. Dadurch, dass Berg im Rahmen der Interviews über weite Strecken des Sachbuchs wirklich gute, sehr kluge und spannende Fragen stellt, gibt dieses Werk einen ausgezeichneten, recht detaillierten und meist auch einfach erklärten Einblick hinter die Kulissen der Forschung und der sonst eher wenig allgemein bekannten wissenschaftlichen Arbeit. Zudem ist der Umgang mit Quellen und Zusatzinformationen in diesem Buch topmodern, innovativ und ultragenial: Weiterführende Links zu Quellen wurden mit einem QR Code am Seitenrand versehen und können mit einem kurzen Scan angesteuert werden. Mit der Erkennung des QR-Codes durch den Scanning–beep kann in Webseiten, Lebensläufen der Interviewten, erwähnten Statistiken und youtube-Videos etc. ausführlich geschmökert werden. Zuerst konnte ich nicht gleich in den Genuss dieser sensationellen Mediennutzung kommen, da bei meinem Ersatz-Handy – das letzte hatte vor einem Monat schon wieder den typischen Hosentaschen-Unfall und ist mir in die Toilette gefallen – der QR-Reader nicht installiert war und ich zuerst mein iTunes Passwort verschusselt hatte. Nach der Installation – am längsten dauerte die Suche nach dem Passwort – gab es noch ein paar persönliche motorische Troubles. Ich bin ja auch schon alterssichtig (bei uns sagt man schasaugat) und a bissi zittrig mit den Händen (patschert) und traf mit der Scanning-Kamera zu Beginn den QR-Code nicht punktgenau, so konnte er anfangs oft erst nach drei bis fünf Versuchen korrekt im richtigen Abstand lokalisiert werden. Entweder ich war zu nahe, zu weit rechts/links, zu entfernt oder zu schief mit der Kamera. Als ich mich aber an die Fokussierung gewöhnt hatte – so nach den ersten 100-150 Seiten – funktionierte es sehr genial, und die zur Verfügung gestellten Zusatzinformationen waren großartig und alle Mühe wert. Leute, die technisch nicht firm sind oder kein Handy haben, werden das Buch ohne QR-Scanning zwar auch genießen können, aber es fehlen eben die genialen Hintergrundinfos, die ich als ausgewiesener Nerd so schätze. Die Interviews mit verschiedenen Wissenschaftlern sind gelegentlich zwar nix für jedermann, waren aber über weite Strecken für mich punktgenau passend und teilweise sehr genial. Am besten gefielen mir jene mit einer Pathologin, einer Gesellschafts- und Femizidforscherin, mit dem IT-Professor und Systemtheoretiker aus Delft und jener Wissenschaftlerin, die mit einer Künstlerin mit einem 3D Drucker das Modell einer Klitoris entworfen und umgesetzt hat. (https://vimeo.com/166628201) Dieser spannende Querschnitt durch die unterschiedlichsten Wissenschaftsdisziplinen in den unterschiedlichsten Ländern war fantastisch. Mit zunehmendem Fortschritt so ca. ab Seite 280 stellten sich aber erste Irritationen ein. Oftmals mussten sowohl Berg als auch die Interviewten sprachlich mit ihrem wissenschaftlichen Fachchinesisch zu viel intellektuell auftrumpfen, ohne dass Berg als Interviewerin das Wording populärwissenschaftlich simplifizierte, im Gegenteil, sie schaukelte dieses unnötige Gebaren oft auch noch auf, indem sie zusätzlich Fachausdrücke hinein schwurbelte, ohne sie zu erklären, um zu demonstrieren, dass sie intellektuell ebenbürtig ist. So etwas hat in einem populärwissenschaftlichen Buch einfach nix verloren. Ein weiteres Ärgernis nervte mich gegen Ende der Interviews noch viel mehr. Berg geht so ungefähr ab den letzten drei Interviews von einem falschen historischen Narrativ aus und fragt ständig alle Gesprächspartner, warum Frauen sich per se nicht für Programmierung interessieren, beziehungsweise nicht begabt für Technik sein sollten, das könnte wirklich besser recherchiert sein. In den historischen Beginnzeiten der Programmierung, als die Rechner noch mit Lochkarten gesteuert wurden, war diese Aufgabe fast ausschließlich Frauenarbeit, weil sie als eine Erweiterung der Sekretariatsarbeit stattfand. Nur weil diese Arbeit und die Leistungen, als sie nach der Mondlandung wichtig und „technisch“ wurden von Männern übernommen, die von Frauen erbrachten Leistungen unter den Tisch gekehrt und Männern zugeschrieben wurden, heißt das nicht, dass Frauen nicht technisch bzw. programmiertechnisch begabt sind. Das ist tatsächlich eine reine Umweltproblematik, da dieses mangelnde technische Verständnis Mädchen schon in jüngsten Jahren eingeredet wurde, beziehungsweise ist das auch heute noch gängige Praxis in den Schulen und auf den Universitäten. Dieser Umstand wird aber bei all diesen Diskussionen weder von Berg noch von ihren Interviewpartnern thematisiert, im Gegenteil, die meisten unterstützen zumindest vage und übernehmen diese extrem falsche Darstellung. Für die nahezu ausschließlich von Frauen erbrachte Leistung in den Anfängen der Informatik gibt es genug historische Belege und wenn man denn wollte, könnte man dieses hartnäckige falsche und extrem sexistische Narrativ sogar nur mit einer einzigen Wikipedia-Suche ausräumen und zertrümmern. https://de.wikipedia.org/wiki/Frauen_... (Ich rede hier übrigens nicht davon, dem Wikipedia Eintrag ohne Recherche zu glauben, sondern von den vielen historischen Quellen zu folgen, die in diesem Eintrag stehen.) Fazit: Ein gutes Buch, das die Wissenschaft vom Elfenbeinturm herunterholt, ihren Beitrag zur Gesellschaft erklärt, und das mit innovativer Quellentechnik arbeitet. Ich spreche sehr gerne eine bedingte Leseempfehlung aus, wenn die letzten 3-4 Interviews weggelassen, beziehungsweise nicht gelesen werden. Natürlich nix für Leute, die nicht an Wissenschaft „glauben“ 😉 .

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