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awogfli

Posted on 24.3.2020

Bedauerlicherweise bin ich mit diesem Roman von Dana von Suffrin überhaupt nicht gut zurechtgekommen, was zuerst am verhüttelten, episodenhaften, holprigen und unstrukturierten Schreibstil lag, über die vom Verlag im Klappentext fälschlich erweckten Erwartungen bezüglich schwarzen Humor weiterging, den ich überhaupt nirgends gefunden habe und letztendlich in einer furchtbaren unreflektierten und unhinterfragten Familiengeschichte voll seelischem Missbrauch fußte. Aber beginnen wir von vorne bei meinem ersten Problem. Plot und Handlung waren nicht beziehungsweise nur bruchstückhaft vorhanden, somit wies das gesamte Werk überhaupt keinen Flow auf, was meinen persönlichen Lesegenuss so erheblich störte, dass ich nie darüber hinwegkommen konnte. Die Episoden reihen sich komplett unchronologisch aneinander, sind wie bei einem dementen alten Mann angeordnet, der seine Erinnerungen nicht mehr unter Kontrolle hat und deshalb keine konsistente Geschichte mehr zu erzählen vermag. Das wäre nun authentisch und gut implementiert, wenn Otto selbst erzählen würde. Da er aber seine Lieblingstochter Timna bittet, seine Gedankenfetzen zu strukturieren und dann aufzuschreiben, ist diese Rahmenbedingung eben nicht erfüllt. Sie hätte gut daran getan, der Bitte ihres Vaters nachzukommen. „Unsere Familie war eher ein Klumpen Geschichten. Wäre man weniger wohlmeinend, hätte man sagen können: Unsere Familie war ein Rattenkönig aus Geschichten, eine größere Anzahl räudiger Nagetiere, deren nackte Schwänze sich verheddert hatten und untrennbar miteinander verwachsen waren; Ratten, die alle in unterschiedliche Richtungen wollten und sich letztlich überhaupt nicht von der Stelle rühren konnten, einige waren bei der Bemühung, dem allen zu entkommen, krepiert, andere lebten noch, hatten resigniert und blieben für immer mit ihren Schwänzen an das Knäuel, das Familie heißt gebunden. […] "Er [Otto] verlor beim Lesen die Fährte, er begann in der Villa in Kronstadt und endete in tausend Kleinigkeiten, die keine Geschichte ergaben […] und ich sagte, erzähl, erzähl weiter, aber obwohl ich seine Geschichte schreiben sollte und deswegen nach Trudering gekommen war, hatte er plötzlich keine Lust mehr, oder er wurde müde." Genauso ging es mir: verkeilte Rattenschwänze an Geschichten, Müdigkeit und abnehmende Lust am Roman. Dabei hätte ich ja darüber noch hinwegkommen können, wenn das ganze anekdotisch witzig mit dem versprochenen schwarzen Humor gewesen wäre oder es zu irgendetwas Substantiellem geführt hätte. Kommen wir zu den Figuren und dem angekündigten schwarzen Humor. Der Werbetext vermittelt, dass Otto ein bisschen dement, nervig und schrullig daherkommt, dass man über seine Mühsamkeit aber auch über seine harmlosen Motzereien und kleinen tyrannischen Ausfällen des Patriarchen so als jiddische Charaktereigenschaft schmunzeln kann, sofern man schwarzen Humor besitzt. Die gezeichnete Figur arbeitet aber nicht aus einer Position der Liebe heraus mit der jiddischen Schuldkeule so wie die typische Mame sie anwendet, sondern die Beziehung von Otto zu seinen Töchtern ist von Verachtung, Machtmissbrauch, Herabwürdigungen, Beschimpfungen und Psychopathie geprägt. Ein Arschloch, der den seelischen Missbrauch an seiner Familie in der beginnenden Demenz prolongiert und vertieft. Er vernichtet fast alle menschlichen Seelen nachhaltig, die ihm in die Quere kommen. Das ist nicht witzig und schon gar kein schwarzer Humor. Da hätte sich der Herr Patriarch mal ein bisschen zu einer Psychotherapie bewegen sollen, anstatt seine Traumata des Krieges dadurch abzuarbeiten, indem man die unschuldigen Opfer in seiner nächsten Umgebung sucht. Gibt eh genug jüdische Therapeuten. Zudem wird in dieser dysfunktionalen Familiengeschichte eigentlich nur Otto und seine Lieblingstochter Timna von der Autorin gezeichnet. Die andere permanent herabgewürdigte und massiv psychisch missbrauchte Tochter Babi, die sich ob der Demütigungen sogar versucht, umzubringen, wird überhaupt nicht von ihrer Schwester unterstützt oder überhaupt zu ihren Probleme befragt, da nimmt Timna keinen Anteil. Auch die Probleme der Mutter, die sich wegen dieser furchtbaren Ehe zu Tode gesoffen hat, werden von Timna wortlos und ohne Reflexion unter den Teppich gekehrt. Alles collateral Damage, von Vati Otto, der von Timna nie thematisiert wird. Die Lieblingstochter Timna fungiert quasi fast als Co-Täterin und ist sich keiner Verantwortung bewusst. Als finale Tat vergibt sie dann in einem Akt der unverdienten Gnade, dem eigentlichen Monster seine kleinen Quälereien an ihr (der Lieblingstochter), kommt sich irrsinnig gut dabei vor und marginalisiert dadurch aber gleichzeitig die Leiden und den furchtbaren Missbrauch an der restlichen Familie. Von so einer Schwester und Tochter möchte ich weder lesen, noch wünsche ich, so eine Figur im realen Leben kennenzulernen. Auch wenn Monster Demenz haben, bleiben sie Monster, gehören isoliert und bestraft, sofern sie sich nicht ändern wollen, und der gute reflektierte Mensch sollte sich eigentlich um die Opfer kümmern, anstatt den Täter zu unterstützen und ihm zu vergeben. Ihr seht also, die Resultate, zu denen eine solche Geschichte führen sollte, wenn ein lernfähiger Mensch diese Sache aufarbeitet, sind komplett die Falschen und werden dann auch noch als notwendige wundervolle Vergebung präsentiert. Puh das ist mir wirklich zu viel victim blaiming – so etwas halte ich nicht aus. Fazit: Stilistisch mühsam sprunghaft, eine episodenhafte furchtbare Geschichte unter dem Deckmantel des schwarzen Humors mit einer Tendenz zur komplett falschen Erkenntnis. Als Negativbeispiel, wie man mit so einer Familienstory auf keinen Fall umgehen sollte, taugt es, war aber sicher nicht die Intention der Autorin, sonst wäre die Tonalität des Romans anders. 2.5 Sterne aufgerundet, denn sprachlich war das Buch sehr erfreulich.

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