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elena_liest

Posted on 21.3.2021

Nike ist Jüdin, mitte 30, lebt in Berlin und braucht vor allem eines in ihrem Leben: Struktur. Sie wurde in der Vergangenheit zutiefst verletzt und schwer misshandelt, weshalb sie sich an ihre durchgetakteten Tage klammert. Als sie dann aber eine Person aus ihrem "alten" Leben trifft, kehrt alles schlagartig in ihren Kopf zurück - und Nike bricht aus: aus ihrem Leben, aus Berlin, aus Deutschland, nach Tel Aviv. Dort begegnet sie Noam und kann sich bei ihm zum ersten Mal seit langem wieder fallen lassen... Mirna Funk erzählt in ihrem Buch "Zwischen Du und Ich" eine Geschichte von Gewalt, multiplen, transgenerationalen Traumata und von verwundeten Charakteren. Ihr Schreibstil ist extrem dicht und klar, die Autorin nimmt kein Blatt vor den Mund und schafft Bilder im Kopf, die ich manchmal gar nicht haben wollte. Genau das hat für mich das Buch aber ausgemacht. Die Charaktere haben so viele Ecken und Kanten - und vor allem Noam war mir absolut unsympathisch. Selten habe ich beim Lesen so viel Ekel vor einer Figur verspürt und selten konnte ich trotzdem so viele ihrer Handlungen so gut nachvollziehen. Diese Ambivalenz war für mich sehr spannend. Besonders gut hat mir an diesem Roman auch gefallen, dass ich so viel über das Leben von Jüd*innen sowohl in Berlin, als auch in Israel gelernt habe. Die Protagonistin Nike begibt sich im Laufe des Buches auf Spurensuche in ihre jüdische Vergangenheit. Das habe ich als sehr bereichernd empfunden. In "Zwischen Du und Ich" verarbeitet die Autorin viele Themen, sie verbindet sie miteinander, stellt häufig die Frage, wie Traumata in der Vergangenheit mit Traumata späterer Generationen zusammenhängen. Sie ergründet, ob zwei Menschen, die beide ihr eigenes riesiges Päckchen zu tragen haben, trotzdem einander eine Stütze sein können, einander aus ihren Tiefen heraushelfen können - oder ob sie zusammen nur noch weiter hinabstürzen. Ich wusste manchmal nicht, wo mich das Buch hinführen möchte. Es war mir auch manchmal ein bisschen zu viel, ein wenig zu überladen. Trotzdem hat es mich begeistert und es lässt mich auch nicht mehr los. Ich mochte die Geschichte, ich mochte den Schreibstil, ich mochte das Setting - daher gibt es eine Leseempfehlung. Ich habe mich in Mirna Funks Art, zu schreiben, verliebt und möchte nun unbedingt ihren anderen Roman "Winternähe" noch lesen 📖

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