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awogfli

Posted on 10.6.2020

Ich lese ja sehr gerne und häufig Weltkriegsliteratur, sowohl aus der jüdischen Sicht als auch aus der Front- und aus der Täterperspektive. Viele Romane waren furchtbar und haben mich sehr erschüttert, waren aber dennoch sehr kraftvoll und genial, nur dieses Werk hat mich ehrlich gesagt als eines der wenigen extrem gelangweilt. Und das ist die erste und verwerflichste Todsünde in meinen 10 persönlichen Literaturgeboten. Dabei weist das Setting und die Anlage der Geschichte extrem viel Potenzial auf. Wie bereits in Christoph Ransmayrs genialem Roman Morbus Kithara spielt die Handlung im Salzkammergut, das vor allem von vielen Nazis und anderen als Rückzugsort frequentiert wurde, weil es nicht wirklich massiv von Zerbombungen bedroht war und zudem auch die Verortung eines relativ unbekannten Konzentrationslagers mit vielen Außenstellen darstellte. Der Schauplatz des Romans ist also schon mal außergewöhnlich innovativ und sehr gut. Auch die Protagonisten sind von der Anlage her überhaupt nicht schlecht konzipiert. Ein verwundeter Soldat mit posttraumatischem Stresssyndrom und ein paar weiteren auch sichtbaren Verletzungen, der sich durch ein bisschen Tachiniererei* vor der erneuten Einberufung zur Front zu drücken versucht, eine deutsche Ehefrau, die in der Fremde auf die Heimkehr ihres Mannes wartet, der im Salzkammergut geboren ist, eine böse Quartierfrau, der Inbegriff einer perfiden Nazibraut, gnadenlos, rücksichtslos und korrupt, ihr Bruder, der von Brasilien träumt und überall durch sein ehrliches Gemüt und sein loses Mundwerk aneckt, der Onkel des Soldaten, der als Polizeipostenkommandant zwar durchaus vernünftig, aber auch der geborene Mitläufer und Opportunist ist und dann noch das gesamte Dorf, das sich auch sehr gut mit der menschenverachtenden Nazidoktrin arrangiert hat. Der Plot ist ja wirklich nicht schlecht, aber extrem gestört hat mich, dass die Figuren einfach total langweilig reden, denken und handeln. Hätte mir meine Mizzi-Tant(e), die aus der Gegend stammt, so etwas erzählt, hätte ich innerlich gegähnt und mir aus Respekt vor der alten Dame die Antwort verbissen, dass dies keine gute Geschichte sei. Auch wenn dann mal tatsächlich etwas Spannendes im Romanfinale passiert, gibt uns der Autor kein Motiv, keine innere Entwicklung der Protagonisten, warum jetzt diese Tat stattgefunden und was sich die Figur wirklich dabei gedacht hat. So abgespeckt minimalistisch diese Figurenentwicklung vom Autor entworfen wurde, konnte sie mich einfach überhaupt nicht fesseln. Viel zu sehr hat sich Geiger auf die Originalmaterialien, die Briefe, die er vor Jahren laut Interview mit Dennis Scheck in der Sendung Lesenswert auf einem Flohmarkt erstanden hat, kapriziert. Authentizität schön und gut, aber bei einem Roman muss man dann schon aus der Innensicht einiges dazu erfinden, damit daraus letztendlich eine gute Geschichte wird. Und diese war für mich definitiv zu langweilig, die Figuren zu flach, zu farblos, völlig ohne Entwicklung und inneren Antrieb. Die Atmosphäre im Dorf war weiterhin geprägt von der keifenden Quartierfrau, überfliegenden Bomberstaffeln, Todesfällen, Latrinengerüchten, und Stromausfällen. Wenn der Quartierfrau der Wehrmachtsbericht nicht gefiel, beförderte sie die leeren Mistkübel mit Fußtritten über den Hof. Dann sprach man sie besser nicht an. Fazit: Lest unbedingt mal einen Geiger, aber nicht diesen. Ich empfehle „Der alte König in seinem Exil“. Das ist mal eine wirklich gute Story. Dieses Buch steht auf 2,5 Sternen was ich gnädigerweise mit einem ganz speziellen Geigerbonus dann noch auf 3 aufgewertet habe.

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