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Es kann der beste Mensch nicht in Frieden leben, wenn es seine Umgebung nicht will. Karen Duve zeichnet hier in ihrem Roman "Fräulein Nettes kurzer Sommer" den Zeitgeist des frühen 19. Jahrhunderts in Deutschland, die Geschichte ist angesiedelt in einem Gebiet zwischen Münster, Göttingen und Kassel. Und dieser Zeitgeist wird perfekt von ihr eingefangen. Man bekommt Einblicke in das Leben und die Gepflogenheiten in den adeligen Familien dieser Zeit, aber auch Einblicke in das Leben von vielen anderen Persönlichkeiten dieser Epoche, wie der Brüder Grimm, Heinrich Straube und Heinrich Heine. Man sieht die Herrschaften vor sich, fühlt die damaligen Anschauungen, ist angewidert von dieser scheinheiligen Welt, weiß, dass man hier nicht hätte leben wollen. Genauer geht es aber in diesem biographischen Roman um Annette von Droste-Hülshoff, eine deutsche Dichterin und eine starke Frau, die nicht unbedingt in ihre Zeit passt. Annette von Droste-Hülshoff ist eine Frau, die sich nicht verkriechen und das Heimchen spielen will, sich nicht den Männern unterordnen möchte, sondern sich gleichwertig sieht, die unangepasst ist und ihre Meinung sagt, und das auch bei Themen, die in der damaligen Zeit nicht für Frauenohren und -zungen bestimmt waren. Und die mit dieser Geisteshaltung natürlich aneckt und andere brüskiert/erzürnt, insbesondere ihre Familie, aber auch verschiedene Männer in ihrem Umfeld und schlussendlich durch eine geschickte Intrige den Groll und die Häme der Anderen zu spüren bekommt. Und dieser ganze Roman gelingt Frau Duve in einer wunderbaren Art und Weise, es ist ein großer Sog spürbar und ich habe dieses doch recht dicke Buch schnell lesen können. Es ist in einer schönen, der behandelten Zeit angepassten Sprache geschrieben, ohne jedoch schwülstig zu erscheinen, mit einer gehörigen Portion Sinn für Sprache und Klang, aber auch mit einem gewissen Humor. Und bei dem ganzen Buch spürt man auch die Wut der Autorin über die Ungerechtigkeiten in dieser Zeit, das Fatale im Umgang der Menschen untereinander, wie z.B. das Verhältnis der Adligen zum Bürgertum, von Reich zu Arm, der Geschlechter miteinander und untereinander, die fragile Stellung der Juden, die Altdeutschenschwärmerei und der Franzosenhass und die Macht der Burschenschaften. Alles wird seziert und dargeboten. Und man spürt auch den Spott der Autorin allem Kleingeistigen gegenüber und besonders auch ihren Spott gegenüber denjenigen, die sich über andere erhöhen müssen, weil sie eigentlich Angst vor ihnen haben. Und das ist ja leider etwas was in alle Zeiten passt. Und Karen Duve zeigt in diesem hervorragend erzähltem Roman ihre Haltung dazu. Und dafür kann ich nur sagen … Danke.