Gabriele
Scout ist ein taffes Mädchen. Als Erzählerin nimmt sie uns Leser mit in ihre Welt. Die besteht aus ihrem Vater, dem Rechtsanwalt Atticus Finch, ihrem vier Jahre älteren Bruder Jem, ihrem Freund Dill und der Köchin Calpurnia. Die Mutter starb schon vor Jahren, so dass sie sich gar nicht mehr an sie erinnern kann. Auch Nachbarn werden erwähnt, sowie die Lehrerin, der es gar nicht gefällt, dass Scout schon bei der Einschulung lesen kann. Maycomb ist ein Ort im heißen Süden der Vereinigen Staaten: „Die Damen badeten am Vormittag und noch einmal nach ihrem Drei-Uhr-Schläfchen, aber am Abend sahen sie aus wie weiche Teekuchen mit einem Zuckerguss aus Schweiß und Puder.“ (Seite 14/15). In charmanter Erzählart erfahren wir, welche Ungerechtigkeiten hier stattfinden. Von ihrem geliebten Vater zur Freiheit erzogen, ist es für Scout unvorstellbar, dass die Menschen in unterschiedliche Klassen eingeteilt werden; dass Schwarze weniger gelten als Weiße. Ihr ist nicht einmal bewusst, in welche Gefahr sich ihr Vater begibt, als er einen Schwarzen im Gericht verteidigt. Sicher ist so manches in diesem Buch auf die Spitze getrieben, doch so wird die Einstellung der Bewohner besonders deutlich. Der Roman lädt uns Leser ein, uns in die Menschen hineinzuversetzen. Kinder sind noch unvoreingenommen und da aus deren Sicht erzählt wird, ist es dem Leser überlassen zu urteilen. Das ist meiner Meinung die besondere Stärke dieses Coming-of-Age-Buches, dessen Lektüre sich mehrmals lohnt, um die eingearbeiteten Feinheiten zu entdecken. Lee Harper wurde ein Jahr nach Erscheinen ihres Buches 1960 mit dem Pulitzer Preis ausgezeichnet. Leider ist der Inhalt des Buches auch 60 Jahre nach dem ersten Erscheinen noch ebenso aktuell wie damals. Sicher spielen Kinder heute anders, aber ihre Einstellung zur Gerechtigkeit ist immer noch dieselbe.