nina 🌸
Ein wichtiges Buch mit einer wichtigen Botschaft, die nie ihre Bedeutung verlieren wird. Zur Geschichte: "Wie du mich siehst" ist ein unglaublich wichtiges Buch mit einer noch bedeutenderen Botschaft, die nie relevanter war als in der heutigen Zeit. Geschickt kombiniert Tahereh Mafi eine sehr ernste Thematik mit einer zarten Liebesgeschichte und schafft auf diese Weise ein außergewöhnliches Jugendbuch. Das Buch enthält schwierige und potenziell triggernde Themen wie Rassismus, Vorurteile, Fremdenhass, Intoleranz, Schubladendenken, Mobbing und deren Auswirkungen. Die Autorin verpackt diese hochsensiblen Themen in ein typisches Jugendbuch mit sonst typischen Problemen Jugendlicher, was ich wirklich toll finde. Es zeigt sehr schön, wie stark diese Dinge das alltägliche Leben der Betroffenen beeinflusst. Weiterhin schafft es mögliche Identifikationspunkte von Seiten der Leser/innen mit Shirin, die keinen Migrationshintergrund etc. haben und sich dementsprechend nicht gut darin hineindenken können. Obwohl ich Shirin's Erfahrungen überhaupt nicht teile und mir diese nicht ansatzweise ausmalen kann, konnte ich ihre Gedanken und Gefühle durch den tollen Schreibstil der Autorin meist nachvollziehen und mich in die Protagonistin hineinversetzen und hineinfühlen. Die Geschichte stimmt nachdenklich, zumindest hoffe ich, dass sie jeden (!) zum Nachdenken anregt und dazu bringt, das eigene Denken und Handeln zu reflektieren, persönliche Einstellungen zu hinterfragen und das eigene Verhalten zu überdenken. Ich fand die Einblicke in Shirin's Leben unglaublich spannend und es war wirklich eine interessante Erfahrung, das Ganze einmal hautnah mitzuerleben. Es war sehr bewegend von Shirin's Erfahrungen, Gedanken und Gefühlen zu lesen. Teilweise empfand ich das Lesen als sehr emotional, wenn man bedenkt, was Shirin alles ertragen und durchmachen muss. Ich wurde beim Lesen richtig wütend auf die Welt und die Intoleranz der Menschen. An mancher Stelle erschien mir der Rassismus allerdings etwas zu übertrieben dargestellt, aber natürlich bin ich keineswegs dazu qualifiziert, über die Angemessenheit und den Schweregrad zu urteilen, da ich davon nicht persönlich betroffen bin. Ich kann keine Aussagen zur Realitätsnähe der rassistischen Handlungen dieser Geschichte treffen bzw. finde ich nicht, dass es mir zusteht. Ich könnte mir allerdings auch gut vorstellen, dass die Autorin absichtlich etwas übetrieben hat, um die Leser/innen noch mehr zu schockieren und zu sensiblisieren. Weiterhin kann es auch einfach daran liegen, dass sie aus der Sicht einer Teenagerin schreibt und diese die Begebenheiten noch einmal intensiver und brutaler wahrnimmt, als sie es augenscheinlich sind. Das persönliche Empfinden spielt dabei ja immer eine tragende Rolle. Jedenfalls wird nichts beschönigt, sondern erschreckend ehrlich und auf brutale Weise real dargestellt. Die Liebesgeschichte ist zart und gefühlvoll. Sie entwickelt sich langsam und wirkt einfach unglaublich echt. Ich habe selten eine authentischere Liebesgeschichte erlebt. Auch wenn mir das Zusammenspiel einer Liebesgeschichte mit der ernsten Rassismus-Thematik generell gut gefallen hat, fand ich die Umsetzung stellenweise etwas zu kontrastreich. Allerdings ist dieser starke Kontrast auch gerade das, was die Geschichte ausmacht. Einerseits ist es eine gelungene und aufregende Kombination, andererseits erschienen mir die Übergänge oft etwas zu hart. Weiterhin hat mir der Breakdance-Aspekt in diesem Buch sehr gut gefallen. Die meiste Zeit über hält sich die Protagonistin im Hintergrund und versteckt sich weitestgehend, um den anderen keine Angriffsfläche zu bieten und sich selbst zu schützen, aber beim Tanzen will sie sich der Welt zeigen und dabei ganz sie selbst sein, was ich wirklich beeindruckend finde. Über das Tanzen kann sie sich ausdrücken und eine Botschaft vermitteln. Ebenso gut gefallen hat mir, dass die Geschichte in einer anderen Zeit spielt, die Atmosphäre ist einfach eine ganz andere. Das Buch spielt nach dem 11. September, was natürlich auch die Geschichte und ihren Plot Twist beeinflusst. Ich kann mir nicht ansatzweise vorstellen, wie hart und schwierig es zur damaligen Zeit für Musliminnen gewesen sein muss, mit einem Kopftuch durch eine amerikanische, konservative Kleinstadt zu laufen und dort zu leben. Weiterhin verändert der zeitliche Rahmen natürlich auch die Kommunikation zwischen Shirin und Ocean, welche ohne die moderne Technik von heute gar nicht so leicht ist. Der Umstand, dass diese Geschichte autobiographische Züge hat, macht sie nur noch faszinierender und authentischer. Zu den Charakteren: Die Geschichte wird aus Shirin's Sicht in der Ich-Perspektive erzählt. Zunächst hatte ich ein paar Startschwierigkeiten mit ihr, aber je mehr ich über sie erfahren habe, desto besser konnte ich sie verstehen und mich in sie hineinfühlen. Shirin ist eine unglaublich starke Protagonistin, die mit ihrer schroffen Art nach außen unnahbar, abweisend und manchmal sogar aggressiv erscheint. Sie hat sich über die Jahre ein dickes Fell zugelegt und Mauern um sich herum errichtet, um sich selbst zu schützen. Sie bleibt meist für sich und meidet die anderen, nimmt nicht einmal Blickkontakt auf. Auch wenn sie sich meist im Hintergrund hält und "versteckt", bricht es manchmal aus ihr heraus und man sieht, dass sie definitiv Contra geben kann. Shirin ist kreativ und interessiert sich leidenschaftlich für Mode, das Nähen und Breakdance. Zunächst war sie mir nicht sonderlich sympathisch, da ich mich nicht mit ihr identifizieren konnte und den Eindruck erhielt, dass sie die anderen mit ihrem Verhalten nur noch zusätzlich provoziert, doch je mehr ich über sie und ihre schwere Vergangenheit erfahren habe, desto besser konnte ich ihr Verhalten nachvollziehen. Shirin hat selbst auch Vorurteile, was sie zu einer unglaublich authentischen und lebensnahen Protagonistin macht. Denn jede/r Einzelne von uns hat Vorurteile, die Frage ist nur, ob wir diese einfach unreflektiert hinnehmen oder hinterfragen. Es geht darum, wie wir mit unseren Vorurteilen umgehen, wie wir sie nach außen tragen und in welchen Ausmaß wir sie ausleben. An dieser Stelle möchte ich noch auf den Umstand eingehen, dass Shirin sich ihren Eltern hinsichtlich ihrer Probleme in der Schule nicht anvertrauen kann, da diese Shirin's Leid als albern abtun, im Vergleich zu dem, was sie im Iran erlebt haben. Es ist einfach nur falsch! Natürlich waren ihre Erlebnisse und das, was sie selbst ertragen mussten, objektiv betrachtet sicherlich um einiges schlimmer, aber Leid kann man nun einmal nicht objektiv messen! Jedes Leid und jedes Problem einer Person sind es wert, gehört zu werden und verdienen eine respektvolle und empathische Reaktion. Ocean ist als Einziger nett zu Shirin und schließt sie nicht automatisch aus, bloß weil sie ein Kopftuch trägt. Er ist fremden Kulturen gegenüber etwas unbedarft, zeigt aber ein großes Interesse daran. Er will Shirin und ihre Kultur kennenlernen und wirkt weitestgehend vorurteilsfrei (so frei wie es eben menschenmöglich ist). Er ist aufgeschlossen, ehrlich und einfach nur liebenswert. Zum Schreibstil: Das Buch liest sich angenehm flüssig und ist sehr einnehmend und fesselnd geschrieben. Tahereh Mafi's Schreibstil hat einfach etwas Besonderes an sich, das ich nicht beschreiben kann. Jedoch hat mir ihr Schreibstil hier leider nicht ganz so gut gefallen wie bei ihrer "Shatter me"-Reihe, aber das kann auch gut an der Übersetzung gelegen haben. Weiterhin haben mich die zahlreichen Kraftausdrücke schon etwas gestört, aber sie haben auch zur Geschichte und zur Thematik gepasst. Fazit: Auch wenn ich ein paar Kleinigkeiten zu beanstanden habe, kann ich euch dieses Buch nur empfehlen und ans Herz legen. Es ist so ein unglaublich wichtiges Buch mit einer noch bedeutenderen Botschaft und ich bin mir sicher, dass jede/r Einzelne beim Lesen noch etwas lernen und mitnehmen kann, egal in welchem Alter und mit welchen Einstellungen. Lest dieses Buch! 4/ 5 Sterne ⭐️