seehase1977
Eindringliche Geschichte mit sehr reduzierter Handlung Der kleine Pawel wächst behütet und umsorgt in einem wohlhabenden Warschauer Haushalt auf. Doch dann kommt der Krieg und alles verändert sich. Es gibt keine Köchin mehr, kein Kindermädchen und auch kein Dienstmädchen. Pawels Mutter Zofia kommt mit der Situation nur schwer zurecht. Vater Karel schließt sich den Widerstandskämpfern an und seine Großmutter, eine Ärztin kümmert sich um Verletzte und Bedürftige. Die Familie lebt in ständiger Angst vor Bombeneinschlägen und nationalsozialistischen Übergriffen. Als der Vater eines Nachts einen schwer verletzten englischen Kampfpiloten mit nach Hause bringt, hat das schwerwiegende Folgen… Meine Meinung: Die englische Dramatikerin und Autorin Nell Leyshon hat mich mit ihrem Bestseller „Die Farbe von Milch“ sehr beeindruckt, weshalb für mich die Messlatte für ihren neuesten Roman „Der Wald“ hoch angesetzt war. So wirklich ist der Funke leider nicht übergesprungen, die Handlung war sehr reduziert und trotz Liebe zum Detail hat mich die Geschichte emotional auf Distanz gehalten. Die Geschichte ist in drei Abschnitte aufgeteilt. Das Leben im durch den 2. Weltkrieg gebeutelten Warschau, die Flucht von Pawel und Zofia in einen abgelegenen Hof mitten im Wald und schließlich der Neuanfang in England nach dem Krieg. Diese Handlungssegmente und auch die darin vorkommenden Personen bilden letztlich nur die Rahmenbedingungen, sozusagen das schmückende Beiwerk, für die im Vordergrund stehende Mutter-Sohn-Beziehung von Pawel und Zofia, zwei Charaktere, die unterschiedlicher nicht sein könnten. Obwohl viel Liebe zwischen den beiden zu spüren ist, fühlt man auch die Missverständnisse und die Kluft, die zwischen ihnen herrscht. Ihr ganzes, eng miteinander verbundenes Leben kämpfen sie um das Verständnis und das Feingefühl des anderen, versuchen die Hindernisse, die sie trennen zu überwinden, als es gelingt, ist es fast zu spät. Nell Leyshon schreibt angenehm, fast schon poetisch und detailverliebt. Dennoch, die Handlung ist sehr überschaubar und reduziert und ich habe voller Ungeduld auf eine Steigerung im Laufe der Geschichte gewartet, die nicht kam. Aufgrund des Buchtitels habe ich mir vor allem von der Zeit im Wald viel mehr versprochen. Die schweren Zeiten, die Pawel und Zofia überwinden müssen sind sicherlich erdrückend und scheinbar hoffnungslos und doch hat mich das Schicksal der beiden nicht berührt. Ich war wie ein stummer Zuschauer, seltsam teilnahmslos. Lediglich die Zeit in England, als Pawel und Zofia allmählich zueinander finden, hat mir wirklich gut gefallen und mich emotional berührt. Pawel ist ein so ein Protagonist, den man schnell ins Herz schließen kann. Sein naiver, verträumter, aber auch sehr wissbegieriger Charakter steht im Gegensatz zu seiner streng wirkenden, realistischen Mutter. Eine Frau mit Rückgrat, die ihrem Sohn sehr viel Aufmerksamkeit schenkt und sehr selbstlos agiert, um Pawel selbst in den harten Kriegsjahren das Beste zu ermöglichen. Mit Zofia habe ich mich trotzdem zu keiner Zeit wirklich verbunden gefühlt. Mein Fazit: Ich habe mir von Nell Leyshons neustem Roman mehr versprochen. Zwar erzählt die Autorin detailreich und bildhaft, dennoch wirkt die sowieso schon sehr minimalistische Handlung hölzern und gestelzt. Die Autorin hat eine bedrückende und eindringliche Geschichte geschrieben, die sicherlich viele Leser für sich einnehmen kann. Mich hat sie nur am Rande erreicht und hauptsächlich gefühlsmäßig auf Distanz gehalten, weswegen ich nur bedingt eine Leseempfehlung aussprechen kann.