naraya
"Verrückt nach Karten", das ist der Herausgeber des Buches Huw Lewis-Jones, ein promovierter Historiker, bereits seit seiner Kindheit. Die Faszination, die mit einem Plan des Londoner Zoos begann, wurde von seinem Großvater weiter gefördert - einem Mann, der noch immer nach nautischen Karten und den Sternen navigieren konnte. Von seiner kleinen Heimatinsel Guernsey, die er oft selbst in Karten und auf Globen markieren musste, träumte Lewis-Jones sich mit Hilfe von Karten in die Welt hinaus. Dieser großen Liebe seines Lebens hat er nun ein wunderbares Buch gewidmet. Es ist eine Sammlung historischer und literarischer Karten aus aller Welt und allen Epochen. Schriftsteller, Grafiker, Journalisten und Illustratoren berichten darin, was Karten für sie persönlich und für ihre Arbeit bedeuten. Darüber hinaus ist es gespickt mit Zitaten und witzigen Anekdoten, zum Beispiel über Jack Kerouac und den Entstehungsprozess zu "On the Road", an dessen Ende ihn seine Frau aus dem Haus warf. Nach einem Vorwort von Philip Pullman, Autor der Trilogie um den "goldenen Kompass" startet das Buch mit dem ersten Teil, einer kurzen Einführung in das Thema. Welches waren die ersten Karten? (Besonders faszinierend die so genannte "Ebstorfer Weltkarte".) Wie sahen sie aus? Und was bedeuten Karten überhaupt für die Menschheit? Natürlich gibt es solche, die vorrangig die Realität abbilden und sie so zugänglich machen. Der Herausgeber macht aber schnell bewusst, dass Karten in vielen Situationen aber erst der Startpunkt sind, zum Beispiel für einen der größten Klassiker der Abenteuerliteratur: Bevor Robert Louis Stevenson seine "Schatzinsel" schrieb, existierte zunächst eine Karte, die eigentlich nur dazu gedacht war, kindliche Langeweile zu vertreiben. Was mit Stevenson hier geschah, bestätigen viele derjenigen, die in "Verrückt nach Karten" zu Wort kommen: Karten inspirieren uns, sei es nur zum Träumen oder zu literarischer Schöpfung. In Teil zwei widmet das Buch sich explizit den literarischen Karten. Unter anderem beschreibt Cressida Cowell, wie ihre Landkarten zu "Drachenzähmen leicht gemacht" entstanden, nach Vorbild der Urlaube auf einer einsamen Insel, die sie mit ihrer Familie jeden Sommer für zwei Wochen machte. Karten können allerdings auch eine heilende Wirkung haben. So halfen sie Kiran Millwood Hargrave ("The Girl of Ink & Stars") aus ihrer Depression und gaben Piers Today ("The Last Wild") eine Möglichkeit, den Tod seines Vaters zu überwinden. In Teil 3 geht es schließlich um die Erstellung von Karten. Besonders spannend ist hier das Kapitel über die Entstehung der "Karte des Herumtreibers" aus Harry Potter, geschaffen von Miraphora Mina, die übrigens gemeinsam mit Geschäftspartner Eduardo Lima das kreative Duo "Minalima" bildet und an allen Harry Potter-Filmen sowie zahlreichen anderen großen Produktionen beteiligt war. Und natürlich darf hier auch Daniel Reeve nicht fehlen, Schöpfer der Mittelerde-Karte, die heute Merchandise-Artikel aus aller Welt ziert und der sich übrigens ganz selbstbewusst für seinen Job bei der Produktion des Films angeboten hatte; mit Erfolg. Teil 4 behandelt nun das Lesen von Karten und macht zunächst einen kurzen Abstecher in die Welt des Rollenspiels, in dem Lev Grossman über seine Liebe zu "Dungeons & Dragons" und den damit verbundenen Karten spricht. Aber auch eine Kuriosität findet in diesem Teil Erwähnung: wo immer historische Karten endeten, man also über die Grenzen der Karte hinaus kein Wissen mehr von der Welt hatte, wurde der Hinweis "Hic sunt dracones" ("Hier sind Drachen") platziert - Abschreckung und Faszinosum zugleich. "Verrückt nach Karten" endet mit einem Epilog des Illustrators Chris Riddell, in welchem er all die Bücher und Erlebnisse mit Büchern schildert, die sein Leben ausmachen und die er nie vergessen wird. Ein Zitat von Neil Gaiman schließt das Werk als Ganzes wunderbar ab: "Eine Welt, in der es Monster gibt, und Geister, und Dinge, die einem das Herz stehlen wollen, ist eine Welt, in der es Engel gibt, und Träume, und eine Welt voller Hoffnung." Das Buch ist wunderbar für den "Coffee Table" gemacht: das Format nicht zu groß und nicht zu klein, lädt es immer wieder zum Stöbern ein. Die dicken, bunt bedruckten Seiten zeigen faszinierende Karten, auf denen es immer Neues zu entdecken gibt. Wer jedoch eine komplette Abhandlung zum Thema erwartet, wird vermutlich enttäuscht, denn "Verrückt nach Karten" ist eher ein Sammelsurium an Kuriosem, kein wissenschaftliches Sachbuch. In meinen Augen macht dies aber gerade den Charme und den Unterhaltungswert des Buches aus.