stefanie aus frei
Sprachlich brilliantes + absolut nicht rosarotes Buch über eine Schwangerschaft Gelegentlich darf man von einem Buch den Klappentext lesen, so bei diesem. Es steht genau das darin, was passiert, nicht mehr, nicht weniger. Aber wie es dann im Buch steht, das ist die Kunst. Urlaub in Jesolo. Sie liest Dostojewski, er heißt Georg 35, und es ist o.k., auch wenn es letztes Jahr besser war. Seit Weihnachten trägt sie seinen Ring, aber es ist kein Verlobungsring, darauf wird Wert gelegt. Er will, dass sie zu ihm zieht. Sie hat das Gefühl, dass man sich zu gut kennt. „Jetzt bist du in die Speisekarte vertieft. Du wirst ein großes Bier und eine Diavola bestellen, wie immer. Zuerst musst du dir aber die gesamte Karte ansehen und minutenlang überlegen, was du nehmen könntest. … Ich würde dir gerne sagen, dass es nicht darum geht, ein Theater zu machen oder nicht, sondern darum, dass wir stundenlang laufen müssen, obwohl gleich neben dem Hotel ein Restaurant wäre, das genauso nett und genauso gut wie dieses hier ist. Aber ich sage es nicht, weil ich mir einen schönen Abend mit dir wünsche.“ Autorin Tanja Raich hat es auf den ersten Seiten geschafft, dass ich mich ertappt fühlt, wenn auch in meinem Leben mit etwas geteilten Rollen. Diese Dialoge sind so herrlich aus dem Leben. Überhaupt, sprachlich ist das klasse, ich liebe besonders diese Listen, mit dem Wirbel und Kopfkino oder Aussagen, die da auf die Hauptfigur hereinprasseln: „Ihre Fragen steuern zuerst zaghaft, dann immer bestimmter auf uns zu. Seit wann. Warum erfahren wir das erst jetzt. Ist es gesund. Ist es ein Mädchen. Man sieht ja noch gar nichts. Wann ist der nächste Kontrolltermin. Wer ist dein Frauenarzt. Wann zieht ihr ein. Wann renovieren wir. Wann gehst du in Mutterschutz. Wie lange bleibst du zu Hause. Wann kaufen wir die Einrichtung. Wohin soll das Kinderzimmer. Braucht ihr ein zweites Auto. Habt ihr schon einen Namen. Warum isst du so wenig.“ Aus der kleinen Reibung wird nach der Heimkehr ein großer Streit. Sie will mit ihm reden, er ist nicht da. Danach entdeckt sie, schwanger zu sein. Sie hadert, lange, erzählt ihm erst nichts, dann reden sie doch und sind wieder ein Paar, glücklich wie lange nicht. Bald jedoch beginnt, ja was? Der Alltag? Die Umsetzung von Georgs Wünschen? Die Einordnung von Andi in die Realität – oder die Selbstaufgabe, oder von beidem etwas? Ich war sehr angetan von diesem Buch, das einmal nicht alles rosarot darstellt oder alternativ als Glück unterbrochen von einem kleinen Drama, das mal so eben gelöst wird, oder als Drama, das zwingend zum Glück führt. Die Ich-Erzählerin hadert lange und immer wieder, mit der Beziehung, mit der Schwangerschaft, mit dem, was danach kommen soll. Währenddessen erzählen ihr wirklich alle, dass Kinder immer nur ein großes Glück sind. Kein Platz für Wochenbettdepressionen oder einfach andere Lebenskonzepte, nicht einmal für geteilte Elternzeit. Dass die Frau Andi heißt, Andrea, erfährt man erst sehr spät. Ich denke, dass passt, für mich verschwand sie irgendwann als eigenständige Persönlichkeit. Sie hatte nie vor, bei den Schwiegereltern zu wohnen, nie vor, so zu werden. Doch es kommt anders. Georg übernimmt den Hausbau mit seinem Vater, die Schwiegermutter plant, welche Möbel in der Wohnung stehen sollen, das Geld kommt von den Schwiegereltern und einem plötzlich viel höheren Kredit als je geplant. Und bei der Heimkehr von der Arbeit putzt Schwiegermama im Bad, ist ja alles gut gemeint (also gut gemeint als Gegenteil zu gut?). Und sie wird doch natürlich ein paar Jahre daheim bleiben, das ist gut für die Kinder. Kinder? Noch ist sie schwanger mit dem ersten. Früh kommt bei mir Beklemmung auf. Was bilden die Menschen sich ein mit ihren Einmischungen? Da gibt es Tipps zu allem möglichen, jeder weiß es besser. Das ist leider sehr realistisch. Ab irgendeinem Zeitpunkt mutiert mir das ganze aber zu sehr zu einer Art „Stepford Wives“. Nie setzt sich Andi für sich selbst ein. Als die Frau von Georgs Bruder „endlich“ schwanger ist, erteilt Andi die Ratschläge. Und was kommt nach dem Ende des Buchs? Wird sie so wirklich dauerhaft glücklich sein? Ja, es gibt ausreichend Menschen, die das genau so wollen. Die wollten das aber meist schon vorher. Welchen Freiraum gibt es für sie? Für mich hinterlässt das Ende ein ungutes Gefühl, ich bin mir nicht sicher, ob das zum Buch passt oder gerade nicht. 5 Sterne.