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Matt Ruff bietet mit seinem Roman Lovecraft Country erfreulicherweise wieder einmal Anlass für meine liebste Kategorie, die Kategorie Lob & Hudel. Nicht nur seine Art – und hier ist Art auch als Kunst zu verstehen – zu schreiben, seine Idee zum Roman, der gewählte Titel und die so leicht erscheinende Schreibe, ein genüßlicher Erzählstil, der meist am schwierigsten zu erreichen ist, fesselten. Auch der durchgängig hohe Spannungsbogen, die einzelnen Charaktere und die Darstellung der Verhältnisse zu jener Zeit, in der diese Geschichte spielt, sind schlicht nur als großartig zu bezeichnen. Selbst das Cover ist geglückt, indem es den Inhalt andeutet, wiederspiegelt und verheißungsvoll exakt jene düstere, mysteriöse Atmosphäre ausstrahlt, die sich im Roman finden lässt. Doch Matt Ruff, einer der wandelbarsten Schriftssteller die ich über die Jahre hinweg lesen durfte, wäre nicht er selbst ohne seinen lockeren Humor der in Lovecraft Country Screwball-Komödienqualität aufweist. „Huch“, sagte Mortimer. „Mortimer?“, rief George. „Was huchst du denn da?“ „ich weiß nicht genau“, sagte Mortimer, „sieht aus wie ein kleines U-Boot.“ Man schließt bis auf wenige Ausnahmen fast sämtliche Charaktere ins Herz, denn Ruff gelingt es, wie in all seinen Romanen seine Figuren vielschichtig und facettenreich erscheinen zu lassen, sei es der psychologisch fast schon klassische Vater-Sohn Konflikt zwischen Atticus und seinem Vater Montrose oder der Konflikt der Schwestern Letitia und Ruby. So ist wie bei – eines meiner liebsten Bücher von ihm – Fool on the Hill wieder ein bunter, stimmiger, durchaus gesellschaftskritischer Genremix aus Abenteuer, Komödie, Tragödie und Mystery, Familiengeschichte und Horror entstanden, wobei sich der Horror fast ausschließlich aus der Behandlung der Schwarzen in den USA ergibt. Der Rassentrennung und dem Wissen darum, dass bis heute immer noch viel Leid, Unglück, Benachteiligung und Ungerechtigkeit aus dieser immer noch nicht völlig aufgearbeiteten noch abgeschlossenen Geschichte der Sklaverei speist. Wie wohltuend, dagegen ist der Umgang der schwarzen Protagonisten mit all diesem unfassbaren Elend. Wie einst der griechische Held Odysseus begeben sie sich durch „Jim Crow“ Land – die Südstaaten der USA – und agieren mit aus Intelligenz gespeister List und bewunderswertem Mut. Ruff lässt seine Helden an keiner Stelle als Opfer auftreten, im Gegenteil, sie ergreifen die Initiative getrieben vom Drang zu überleben und sich immer mehr von dieser von Weißen bestimmten Welt zu erobern, die formal zwar per Gesetz die Rassentrennung aufgehoben hat, faktisch bestehen die hirnrissigen Schranken jedoch noch immer in vielen Köpfen jener Kleingeister, derer es auch 2016 im Entstehungsjahr des Romans immer noch zu viele gibt. Es ist wie Albert Einstein zugeschrieben: „Zwei Dinge sind unendlich, das Universum und die menschliche Dummheit.“ Doch Ruff bedient sich nicht nur bei der Odyssee, er verpackt diese Hommage an Abenteuerschriftssteller wie Robert Louis Stevenson, Lovecraft und diverse andere Klassiker der Literatur. Unter anderem der Science -Fiction und den Superhelden Comics. Beim Lesen entsteht der Eindruck, der Autor hatte neben der gedanklichen Arbeit einen Heidenspass an der Entstehung dieser Geschichte, zu der ihn, wie er schreibtt, bereits vor dreissig Jahren im Gepräch einen Anstoss durch Mitarbeiter der Cornell University bekam. Jener Universität an der sein Debüt Fool on the Hill spielt. Dazu kam später das Essay „Shame“ von Pam Noles, über die Schwierigkeit ein schwarzer Science – Fiction Fan zu sein. Welche im Roman überzeugend und sowohl amüsant wie auch eindrücklich und betroffen machend dargelegt wird. Beispielweise als sich Georges und Hippolytas Sohn Horace, der Comiczeichner werden möchte, im Laden aufgrund seiner Hautfarbe schlecht behandelt wird und dennoch gerne dort Comics kaufen möchte. Die Diskussion mit seinem Altvorderen ist köstlich geschildert. Die Phantastik bietet hier den Rahmen für den realen Horror und diese Umkehrung ist Ruff überzeugend gelungen. Wer den Autor bereits kennt weiß, dass er sowohl bei der Themenauswahl als auch bei der Umsetzung alles außer gewöhnlich, dafür aber außergewöhnlich ist. So serviert er auch in Lovecraft Country eine Geschichte die viel Platz zur Interpretation und zum Spekulieren lässt. Wer das, wie ich, schätzt wird begeistert sein. Auch Fans von David Mitchells Knochenuhren und Sladehouse sollten sich Lovecraft Country gönnen. Inspiriert duch Victor H. Greens „Negro Motorist Green Book“ entstand wohl „The Safe Negro Travel Guide“ für den Atticus Tante Hippolyta Reisen quer durch Amerika unternimmt, um der Community einigermassen sicheres Reisen zu ermöglichen. Es ist pures Lesevergügen Atticus und seine Sippe dabei begleiten zu dürfen, wie sie in der Vergangenheit begangenes Unrecht bekämfen, sich gegen düstere Zaubererlogenbrüder in den Kampf begeben, mit Geistern interagieren und ganz nebenbei dem allgegenwärtigen Hass und Rassismus immer wieder trotzen. Matt Ruff schickt seine Leser zusammen mit seinen schlagkräftigen und wortmächtigen, charmant bis skurrilen Protagonisten auf eine Reise durch Zeit, Raum und literarische bis trashige Kult Klassiker, die man sich keinesfalls entgehen lassen sollte.