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Bris Buchstoff

Posted on 4.2.2020

Veränderung als Chance Kent Haruf war im Jahr 2017 DIE Autorenentdeckung für mich. Irgendwie war es merkwürdig, dass ich von ihm bis zu diesem Zeitpunkt nicht einmal im Entferntesten etwas gehört hatte, und so dachte ich zunächst, der Diogenes Verlag, der mich schon ein paar Mal mit Autoren bekannt gemacht hat, deren Werke zwar bereits auf Deutsch übersetzt vorlagen, eine ganz eigene Qualität haben und dennoch scheinbar nicht so recht auf dem deutschen Buchmarkt Fuß fassen konnten, hätte ein weiteres Debüt aufzuwarten. Denn Diogenes ist ein Autorenverlag, der nicht nur bisher auf dem deutschen Buchmarkt nicht genügend gewürdigte Autoren ins verdiente Rampenlicht stellt, sondern viele Debütautoren richtiggehend aufbaut. Aber da hatte ich mich gründlich geirrt. Holt, Colorado: der Ort, der einen nicht loslässt In der Zeit zwischen 1984 und 2014 schrieb Haruf sechs Romane, die alle in der fiktiven Kleinstadt Holt, im Herzen Colorados, verortet sind. Eine Kleinstadt, die unspektakulärer nicht sein könnte, besiedelt mit Menschen, die nicht alltäglicher leben könnten und dennoch sind die drei Romane, die bisher bei Diogenes erschienen sind, weder langweilig, noch redundant, sondern wahre literarische Schätze. Eben ist Eventide - zu deutsch Abendrot - erschienen. Den Rückentext des Buches ziert neben einer knappen Inhaltsbeschreibung ein Zitat von Bernhard Schlink, das alles ausdrückt, was die Lektüre Harufs Romane bei mir auslöste: Das kleine Leben in der kleinen Stadt in den Great Plains - Kent Haruf nimmt uns mit, wohin wir nie wollten, und bald wollen wir von dort nicht mehr weg. Heimkehr Wer Haruf bereits gelesen hat, der wird Abendrot wie eine Heimkehr empfinden: Neben dem bekannten Personal, das den Geschichten dieser eher unscheinbaren Kleinstadt soviel Leben einhaucht, dass man ihnen immer weiter folgen muss, ist es der bekannt unaufgeregte, ruhige Stil, die klare treffende Sprache und der immer wieder aufblitzende Witz, was sich vom Anfang der Lektüre so wohlig bekannt und doch nach wie vor interessant anfühlt. Wie ein geliebtes Kleidungsstück, in das man schlüpft, wenn man ein wenig Abstand von der Welt, ein bisschen Zuversicht und Ehrlichkeit braucht, legen sich Harufs Romane schmeichelnd um das Leser*innenherz. "Sie kamen im schräg einfallenden Licht des frühen Morgens aus dem Pferdestall. die beiden McPheron-Brüder, Harold und Raymond. Alte Männer, die am Ende des Sommers auf ein altes Haus zusteuerten." Gelebtes leben, ungeschminkt Diese beiden Brüder, die ihre Ranch seit dem frühen Tod ihrer Eltern alleine und gemeinsam weiter betreiben, sind nicht weltgewandt, wissen aber immer, wann Hilfe gebraucht wird. Dann bieten sie diese ohne nach einer Gegenleistung zu fragen an. In heutigen so individuell und häufig auch egoistisch geprägten Zeiten sind sie es, die Güte und Menschlichkeit leben. Im Vorgängerroman Lied der Weite waren es eben die beiden alten Männer, die einem jungen, schwangeren Mädchen, das von seiner eigenen Mutter vor die Tür gesetzt worden war, zunächst eine Bleibe und mit der Zeit so etwas wie eine Familie boten. Einfach zum richtigen Zeitpunkt das taten, was getan werden musste, damit ein junger Mensch, der in Not geraten war, doch eine Zukunft haben konnte. Gekostet hat es die beiden nichts, außer dass sich ihr routinierter Alltag ein wenig veränderte und ihr Leben gerade nach der Geburt der Tochter ihrer neuen Mitbewohnerin bunter wurde. Die beiden McPheron Brüder sind der rote Faden, der sich von Lied der Weite in Abendrot durch zieht, um sie herum gruppieren sich weitere bereits bekannte Figuren, während neue Personen mit all ihrem Lebensgepäck hinzukommen. Eitel Sonnenschein ist das Leben in Holt für kaum jemanden, auch für die beiden Brüder hält das Schicksal neben dem Auszug ihrer quasi Ziehtochter schwere Stunden bereit. Doch wie das so ist in Holt, das Leben will gelebt werden, alles will zur rechten Zeit recht getan werden. Seelentröster Haruf schont seine Leser nicht, dennoch ist sein Roman weder deprimierend noch desparat. Er kommt ohne großes Brimborium aus, erzählt ruhig und was so scheinbar leicht anmutet, ist große Kunst. Keine nach Aufmerksamkeit heischenden Szenen bietet er an, keine überbordenden Attraktionen, sondern einfaches, ungeschminktes Leben und Menschen, die sich diesem stellen - oder auch nicht. Diejenigen, die dem trotzen, was ihnen das Leben in den Weg stellt, sich der ganzen Palette ihrer Gefühlswelt gewahr sind, verlassen die Arena des Lebens, die sie tagtäglich aufs neue betreten, nach Niederlagen stets wenn nicht gestärkt so doch mit einem anderen Bewusstsein von sich und den anderen. Doch nicht alle finden diese Stärke. Und diese Szenen sind erschütternd und machen betroffen, ohne jedoch jemals zu werten oder zu verurteilen. Hier zeigt sich in literarischer Form, was J.D.Vance so offen, ehrlich und meisterlich in seiner großartigen Hillbilly Elegie beschreibt. Die Quintessenz, die Vance aus seiner eigenen Kindheit und Jugend zieht, die Verantwortung die jeder ab einem gewissen Zeitpunkt für sein Leben zu tragen hat, vor allem aber was passiert, wenn Kinder alleine gelassen werden, das alles zeigt uns Kent Haruf durchgehend unaufgeregt und empathisch und erschafft damit literarische Seelentröster. Schließt man den Deckel eines seiner Romane nach erfolgter Lektüre, hat man wieder ein wenig mehr Hoffnung und Zutrauen gewonnen, ohne die Augen vor so manch negativer Situation verschlossen zu haben. Moderne Klassiker Wer so schreiben kann, hat sich viele Gedanken über das Leben und seine Mitmenschen gemacht, ist ein scharfer Beobachter, gütiger Mensch und großartiger Autor. Haruf war ein solcher, und seine Romane sind von derart zeitloser Qualität, dass sie zu Klassikern werden müssen. In den USA ist das bereits der Fall. Dass sie das nun auf dem deutschsprachigen Buchmarkt auch werden können, dafür ist dem Diogenes Verlag meinerseits demütig zu danken. "Und jetzt wurde es auf der Straße, draußen vor dem Haus, hinter dem stillen Zimmer, in dem sie saßen, langsam dunkel. Bald würden die Straßenlaternen aufflammen, flackernd. und zittrig, um alle Ecken und Winkel von Holt zu erhellen. Und weiter weg, draußen vor der Stadt, auf der Hochebene, würden die blauen Hoflampen von den hohen Masten auf alle einsamen Farmen und Ranches in der flachen baumlosen Landschaft scheinen, und dann würde plötzlich Wind aufkommen und über das offene Gelände brausen, ohne auf Widerstand zu stoßen, über die weite Flur mit dem Wintergetreide und die uralten Weideflächen der Gegend und die Schotterstraßen und hellen Staub mit sich tragen, während die Dunkelheit hereinbrach und sich ringsum die Nacht verdichtete."

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