literary_marie
Für Familiengeschichten bin ich immer zu haben. Da ich selbst aus einer großen Familie komme, ist mir Menschennähe besonders wichtig und Romane darüber lese ich umso lieber. Als mich der Autor also fragte, ob ich nicht Lust darauf hätte, sein Buch Erlensee zu lesen, konnte ich gar nicht nein sagen. Albert und Pauls Familienkonstellation hat mein Interesse schnell geweckt – Vater und Sohn, die sich gar nicht kennen und dann doch aufeinander treffen – aber leider blieb ich ein wenig unzufrieden zurück. Paul ist dabei, seine Hochzeit mit Kathrin zu planen, als er überraschend einen Anruf aus dem Altenheim bekommt: Sein Vater Albert würde ihn gern sehen. Völlig überwältigt von der Situation weiß Paul gar nicht, wie er sich verhalten soll, denn Albert entschied sich vor über 30 Jahren dazu, die Familie zu verlassen und Vater und Sohn haben sich seitdem nicht gesehen. Paul gelingt es nur schwer, auf andere Gedanken zu kommen, denn plötzlich wurde ihm auch die Möglichkeit geboten, Antworten auf seine vielen Fragen zu bekommen: Warum ist Albert damals gegangen? Warum hat er sich nie wieder blicken lassen? Warum will er jetzt wieder Kontakt? Aus diesem Grund entscheidet er sich dazu, das Altenheim aufzusuchen und seinen Vater zur Rede zu stellen. Das erste Aufeinandertreffen der beiden läuft alles andere als gut. Nach nur wenigen Minuten, bittet Albert Paul wieder zu gehen, aber dieser lässt nicht locker. Schon am nächsten Tag kreuzt er wieder dort auf, geigt seinem Vater ordentlich die Meinung und verlangt Antworten, die ihm immer noch nicht gegeben werden. Doch Franka, die Altenpflegerin im Dienst, lässt einige Informationen durchschimmern. Nach und nach erhält Paul weitere Puzzleteile, die ihn immer weiter aus der Bahn werfen. Anscheinend hatten seine Eltern nach ihrer Trennung noch Kontakt, ohne ihrem Sohn davon zu erzählen, und da Pauls Mutter bereits verstorben ist, gibt es nur einen Weg an die Wahrheit zu gelangen: Gemeinsam mit seinem Vater muss er sich auf eine Reise in die Vergangenheit begeben. Was ist damals wirklich geschehen? Ich war überrascht darüber, wie schnell sich Erlensee lesen ließ. Von einer Seite blätterte ich mich zur nächsten und bemerkte dabei gar nicht, wie die Zeit verflog. Vor allem den Schreibstil fand ich sehr angenehm. Er hatte fast schon etwas Poetisches, das man leicht in sich aufsaugen konnte. Auch der Handlungsaufbau kam mir sehr flüssig vor. Langsam aber sicher wurde Spannung aufgebaut und die Geschichte wird aus unterschiedlichen Perspektiven erzählt, was die ganze Dramatik unterstützt. Doch leider hatte ich das Gefühl, dass der eigentliche Höhepunkt nicht wirklich erreicht wurde. Die Auflösung des Familiengeheimnisses war für mich etwas enttäuschend und auch nicht zu 100% nachvollziehbar. Der Grund, warum Albert seine Familie vor über 30 Jahren verlassen hatte, stößt aber auch bei seinem Sohn Paul auf Unverständnis, was mich zu der Überlegung brachte, ob Albert tatsächlich die Wahrheit erzählt. Erlensee endet recht offen, sodass sich jeder seine eigene Meinung über den Roman bilden kann. Für mich war es eine angenehme Lektüre für zwischendurch, die aber gern noch ein bisschen mehr Drama hätte enthalten können.