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literary_marie

Posted on 3.2.2020

Linda, eine Übersetzerin aus dem Persischen, hat ihre kleine Großmutter Ida nie wirklich kennengelernt. Zumindest war sie noch zu jung, als dass sie sich heute noch an sie erinnern könnte. Doch aus irgendeinem Grund taucht die kleine alte Frau, die gerade einmal 1,47 Meter misst, immer wieder in ihren Träumen auf und Linda begibt sich kurz darauf auf Spurensuche. Sie findet sich in Lüneburg wieder, einem Ort, wo ihre Großmutter mit ihren Kindern viele Jahre gelebt hatte… Ida Sklorz, oder auch Tante bzw. Frau Ida genannt, flüchtet zum Ende des zweiten Weltkriegs mit ihren vier Kindern Kaspar, Hannes, Nanne und Karl zu ihren Schwiegereltern nach Lüneburg. Ihr Mann Kurt ist beim Militär und mit seinen Eltern und seiner Schwester kommt Ida nicht gut zurecht. Sie wird weniger wie Familie und viel mehr wie eine Aussätzige behandelt, bekommt von allem nur die Reste und Überbleibsel zugesteckt, was für die kleine Frau und ihre Kinder keinesfalls ausreicht. Immer wieder beschwert sie sich per Brief bei ihrem Mann und fasst dann den Entschluss, sich Arbeit zu suchen, um nicht mehr abhängig von der Schwägerin und den Schwiegereltern zu sein. Zuerst kümmert sie sich um die Wäsche einiger Männer der britischen Besatzung, doch schon nach kurzer Zeit muss sie die Arbeit wieder aufgeben. Sie kämpft sich durch, besorgt sich eine neue Unterkunft und kann schon bald ihren Mann wieder in die Arme schließen. Doch das Glück soll nicht von Dauer sein, denn die Familie wächst, Kurt wird krank und Ida steht schon bald mit fünf Kindern wieder ganz am Anfang. Mit Mr. Thursday kommt allerdings ganz unverhofft die Wende. Meine kleine Großmutter & Mr. Thursday war eine für mich ungewohnte Lektüre. Obwohl der Roman teilweise auf realen Charakteren beruht, war es doch eine fiktive Geschichte, aber ich hatte zunehmend das Gefühl, eine Biografie in den Händen zu halten. Das Buch war belehrend – ich habe sehr viel über die Nachkriegszeit erfahren können – doch die große Spannung blieb für mich leider aus. Ich fand es schade, erst relativ spät von Mr. Thursday zu erfahren (sein Charakter tritt nach 240 Seiten zum ersten Mal auf) und auch mit ihm im Bild wird die Handlung nur schleppend vorangetrieben. Interessant fand ich wiederum die Einbeziehung des englischen Kinos. Man erfährt von alten Kinofilmen, von Klassikern und großen Hits, die sich in den 1930er und 40er Jahren großer Beliebtheit erfreuten; man bekommt einen genauen Einblick in die Arbeit als Filmvorführer und welche Bedeutung das Kino für die Menschen der Nachkriegszeit hatte. Die Autorin hätte auf einige unnötige Wiederholungen verzichten können und auch Anführungszeichen wären bei der wörtlichen Rede hilfreich gewesen, doch insgesamt hat mir der Roman trotz fehlender Spannung recht gut gefallen. Der Schreibstil war sehr angenehm und das Leben der kleinen Frau Ida interessant genug, dass ich erfahren wollte, wie sie die Steine, die ihr in den Weg gelegt wurden, beseitigen konnte.

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