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Bris Buchstoff

Posted on 2.2.2020

Musik ist wie Kunst oder auch Literatur in einem gewissen Maße äußerst subjektiv. Was ich aus einem Song heraushöre, kommt nicht unbedingt bei anderen Menschen genauso an. Und gerade deshalb gibt es Vorlieben für Bands, Künstler, einzelne Songs oder Alben, die von persönlichen Erfahrungen geprägt sind und die Verbindung zu bestimmten Lebensphasen über ein späteres, erneutes Hören wie durch Zauberei wieder herstellen können. Frank Oceans Album Blonde ist für Sophie Passmann genau aus diesen Gründen ein ganz besonderes Album, auch wenn es, wie sie selbst ganz offen erzählt, nicht in der bisher besten Zeit ihres Lebens eine wichtige Rolle gespielt hat. Sophie Passmann hat viel mit Sprache auf allen Ebenen zu tun: Regelmäßig erscheint ihre Kolumne in der Zeit, sie ist (Radio-)Moderatorin, arbeitet in unregelmäßigen Abständen für das Neo Magazin Royale von Jan Böhmermann, hat mit 23 Jahren den Grimmelshausen Förderpreis für ihren Lyrikband „Monologe angehender Psychopathen“ erhalten, ist seit ihrem 15. Lebensjahr sehr erfolgreich als Poetry-Slammerin unterwegs … die Liste könnte man locker noch ein wenig weiterführen. Nun hat sie für die Kiwi-Musikbibliothek ein sehr ehrliches, persönliches, mutiges und einnehmendes Buch über udn auch wieder nicht über Frank Ocean geschrieben. Da Sophie Passmann schon in ihren jungen Jahren – sie ist Jahrgang 1994 – dermaßen erfolgreich unterwegs ist, hat mich ihr Text vollkommen umgehauen und das im positivsten Sinn, den man sich vorstellen kann. Da schreibt eine junge Frau über Zeiten, in denen sie ihr Leben in keinster Weise im Griff zu haben glaubte. Und das auf eine Art und Weise, die weder larmoyant, Beifall heischend, distanziert ironisch noch egozentrisch ist, sondern ehrlich, aufrichtig, klar und direkt. Das Ziel dabei, das spürt man aus jeder Zeile, ist nicht, sich selbst mit der eigenen Lebensgeschichte in den Mittelpunkt zu stellen, sondern den Makel, der emotionalen und psychischen Ausnahmesituationen, die jeden von uns treffen können, immer noch schwer anhängt, zu neutralisieren. Im besten Fall soweit, dass bei den Leser*innen so etwas wie ein ansatzweises Verstehen oder zumindest ein wertfreies Aufnehmen des Geschriebenen stattfinden kann. Gleichzeitig aber seziert Passmann Frank Oceans Album Song für Song, Text für Text und stellt dessen Wirkung in den Kontext ihres eigenen Lebens. Das ist großartig und nimmt einen, sofern man sich darauf einlassen kann, vollkommen ein. Ich konnte das schmale Büchlein nicht aus der Hand legen. Es traf mich, obwohl ich mich glücklich schätzen darf, bisher keine der von Sophie Passmann beschriebenen Ausschläge im seelischen Gleichgewicht erfahren zu haben, im Innersten. Es hat mich inne halten lassen. Eine ähnlich starke Wirkung hatte auf mich bisher nur die literarische Verarbeitung traumatischer Erlebnisse und der damit einhergehenden Konsequenzen in Edward St. Aubyns Melrose –Zyklus. Gewarnt seien allerdings Menschen, die sich tatsächlich ein Buch über Frank Ocean himself vorstellen oder bei denen die Beschreibungen der bipolar geprägten Seelenzustände einen Triggereffekt auslösen könnten. Bisher habe ich drei Bände aus der Kiwi-Musikbibliothek gelesen – dieser hier ist mein absoluter Favorit – mit Dank an den Verlag für das Exemplar und an Sophie Passmann dafür, dass sie uns so nah an sich heran lässt.

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