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Simone Scamander

Posted on 1.2.2020

Worum geht's? Sieben Minuten nach Mitternacht taucht das Monster, das vermutlich der großen Eibe aus dem Garten entstammt, vor Conors Fenster auf. Andere Kinder würden in solchen Situationen die Flucht ergreifen, doch das Baummonster ist es nicht, wovor der Junge sich fürchtet. Viel schlimmer sind die Albträume, die in schreiend aus dem Schlaf erwachen lassen. Conor weiß nicht, woher diese schlimmen Träume kommen. Es geht ihm gut. Seine Eltern haben sich scheiden lassen, sein Vater meldet sich kaum noch bei ihm, da seine neue Familie ihn zu sehr beschäftigt, seine Mitschüler hänseln ihn und seine Mutter ist schwerkrank. Aber Conor ist sich sicher, ganz sicher, alles wird wieder besser werden, und daher geht es ihm gut. Er versteht nicht, wieso all die Erwachsenen so einen Aufstand machen! Nicht so die Baumgestalt, die ungezähmte und weltkluge Verkörperung des Lebens. Immer sieben Minuten nach zwölf kommt das Monster zu Conor, erzählt ihm eine Geschichte und begleitet Conor auf einer tiefgründigen Reise in seine Seele mit nur einem Ziel: Die Wahrheit. Kaufgrund: Durch das wunderschöne Cover der cbj-Ausgabe bin ich auf "Sieben Minuten nach Mitternacht" gestoßen. Für mich war die melancholische Atmosphäre, die es ausstrahlt, schon Grund genug, um es lesen zu wollen; ohne zu ahnen, welch tiefe Bedeutung zwischen den Seiten steckt... Meinung: Bevor ich auf das Buch eingehe, würde ich sehr gerne einige Worte über die Autoren verlieren, denn die beiden verbindet eine tragische Geschichte. Kaum zu glauben, aber wahr: Persönlich kannten sich die beiden nicht! Der Grundgedanke und die Charaktere stammen von Siobhan Dowd, doch leider kam sie nicht dazu, ihre Geschichte niederzuschreiben. Wie Patrick Ness in einem rührenden Vorwort treffend erklärt: Ihr fehlte die Zeit. 2007 starb die Autorin an Krebs, und Ness verfasste Conors Geschichte für Dowd, um ihre Geschichte für sie in die Welt zu bringen. Wer diese Hintergrundgeschichte des Romans nun kennt, wird verstehen, dass "Sieben Minuten nach Mitternacht" keine leichte Kost für Zwischendurch ist. Der Handlungsverlauf ist sehr einfach gestrickt: Der junge Conor trifft auf das weise, alte Monster, das ihm drei Geschichten erzählt. Anschließend möchte es von Conor eine eigene Geschichte hören, die genauso der Wahrheit entspricht wie die drei des Monsters. Durch diese poetischen Erzählungen lernt Conor Stück für Stück mehr über die Wahrheit, die im Inneren seines Herzens schlummert, und er kommt dem Auslöser seines Albtraums immer näher. In der Zwischenzeit, den Szenen im "realen Leben", muss sich Conor seinen Problem stellen, sich um seine an Krebs erkrankte Mutter kümmern, mit der verhassten Großmutter leben, seinen schlagenden Mitschülern und seinem Vater gegenübertreten. Wer nun denkt, es handelt sich hierbei um ein tröstendes Kinderbuch, hat weit gefehlt. Es ist eine eindringliche Geschichte über das Akzeptieren der Wahrheit, die noch lange im Gedächtnis des Lesers nachhallen wird. Protagonist Conor hat von Anfang an einen Platz im Herzen des Lesers sicher. Der tapfere kleine Kerl muss mit seinen jungen dreizehn Jahren bereits mit so vielen Schwierigkeiten umgehen, dass man ihm am liebsten seine Lasten abnehmen würde. In den 216 Seiten des Romans vollzieht er eine riesige Entwicklung, die man ihm gerne erspart hätte. Die Szenen, in denen der Leser auf Conors krebskranke Mutter trifft, sind so realistisch, dass man für kurze Momente Lesepausen einsetzen muss. Schonungslos wird ihr Zustand beschrieben und man leidet fast genauso sehr wie der Sohn. Ich bin mir sicher, dass die gemeinsame Krankheit der Mutter und der Autorin Siobhan Dowd kein Zufall ist. Dieser Zusammenhang macht die Thematik umso tragischer und berührender. Die großartige Geschichte wird unterstützt von umwerfenden schwarz-weiß Illustrationen des Künstlers Jim Kay. Auf fast jeder Seite sind tolle Verzierungen von ihm zu sehen, auf einigen Doppelseiten sogar ganze Abbildungen von Szenen! Dabei muss ich ihm eines ganz hoch anrechnen: Er versucht nicht, seine Vorstellungen der Charaktere in die Köpfe der Menschen zu zwängen. So zeichnet er zum Beispiel Protagonist Conor stets nur als weiße Silhouette, damit sich der Leser und seine Fantasie unvoreingenommen ein eigenes Bild der Figuren machen können. Zum Schluss möchte ich Patrick Ness ein großes Lob für seine Arbeit aussprechen. Auf ihm muss ein ungemein großer Druck gelastet haben, als er den Entschluss gefasst hat, Siobhan Dowds Geschichte für sie aufzuschreiben. Doch er war dieser enormen Herausforderung gewachsen. Niemand sonst hätte "Sieben Minuten nach Mitternacht" treffender, einfühlsamer und berührender schreiben können. Durch seine ausdrucksstarke und glaubhafte Sprache fühlt man so intensiv mit Conor, als wäre es eine Selbstverständlichkeit. Man leidet, man weint, man akzeptiert. Ness hat es wahrhaftig geschafft, seine Worte im Herzen des Lesers klingen zu lassen. Cover: Rundum perfekt. Eine Silhouette - endlich mal kein Gesicht, das einem die Möglichkeit nimmt, sich ein eigenes Bild der Charaktere zu machen - des Protagonisten Conor unter einem großen Baum, einer Eibe, ist zu sehen. Der Mond und der wolkenverhangene Himmel sorgen für eine schwermütige Atmosphäre. Für mich war allein das Cover so überzeugend, dass ich nicht um den Roman herum kam. Nach der letzten Seite muss ich jedoch zugeben: So meisterhaft das Cover auch ist, an die Geschichte kommt es nicht heran. Fazit: "Sieben Minuten nach Mitternacht" ist ein Buch, das seine Leser verändert. Es ist schwierig, die Dinge in Worte zu fassen, die ich zwischen den Buchdeckeln empfand. Man muss es selbst lesen, selbst erleben, selbst fühlen, um zu verstehen, wie tief und wie stark dieser Roman in die eigene Seele greift. Volle 5 Lurche für ein eindringliches, ergreifendes Buch, das man unbedingt gelesen haben muss!

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