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Simone Scamander

Posted on 1.2.2020

Worum geht's? Endlich ist es soweit. Da Mädchen15 lang genug überlebt hat und nicht wie viele andere Kinder vor ihrem großen Tag gestorben ist, darf sie am Ritual teilnehmen und einen Namen bekommen. Fortan ist Zwei, so ihr Name, eine Jägerin, die mit ihrem neu zugeteilten Partner Bleich außerhalb der sicheren Enklave in den U-Bahn-Tunneln New Yorks nach Nahrung suchen soll - und nebenbei ein paar Zombies erledigen muss! Durch ihre neue Position kommt Zwei jedoch Geheimnissen auf die Spur, die sie niemals hätte erfahren dürfen. Die Konsequenz: Sie wird aus der Enklave verbannt und muss an die Oberfläche, jenen Ort, der seit den apokalyptischen Ereignissen unbewohnbar geworden ist... Oder? Wider Erwarten entscheidet Bleich, Zwei zu begleiten, und zusammen machen sich die beiden auf zu einer Reise ohne Wiederkehr... Kaufgrund: "Die Enklave" von Ann Aguirre hat mich schon seit einiger Zeit immer wieder auf sich aufmerksam gemacht, aber erst jetzt habe ich mich dazu entschlossen, es tatsächlich zu lesen. Die apokalyptische Endzeitgeschichte klang einfach zu vielversprechend! Meine Meinung: Kaum hat man mit dem Lesen begonnen, breitet sich bereits ein mulmiges Gefühl in der eigenen Magengrube aus. Denn die Welt, die Ann Aguirre ihren Lesern bietet, hat nichts mit den perfekten, hoch modernisierten Großstädten zu tun, die man aus so manch anderer Dystopie kennt. "Die Enklave" beschäftigt sich mit einer postapokalyptischen Zukunft, in der das Leben an der Oberfläche der Erde angeblich nicht mehr möglich ist. Die Menschen sind in die Untergrundtunnel New Yorks geflohen und haben sich dort in Enklaven verschanzt, um ein halbwegs sicheres Leben zu führen. Jeder dort hat einen festen Platz in der Gemeinschaft und sorgt mit seiner Arbeit dafür, dass das Leben sicher und geregelt bleibt: Zeuger sorgen für den Nachwuchs, Schaffer fertigen verschiedene Güter an und Jäger suchen außerhalb der Enklave in den Tunneln nach Nahrung - und Freaks! So nennen die Bewohner der Enklave jene abscheuliche Wesen, die wie Zombies durch den Untergrund ziehen und ohne Erbarmen jeden töten, der ihnen über den Weg läuft. Bloß die Jäger verfügen über die nötigen Kenntnisse und Waffen, um die Freaks zu erlegen und von der Enklave fern zu halten. Zwei, die Protagonistin, ist eine von ihnen. Nach jahrelanger Ausbildung ist aus "Mädchen15" - aus "Kostengründen" werden Kinder nur mit Nummern gerufen - eine kämpferische junge Frau herangewachsen, die sich endlich einen eigenen Namen verdient hat. Ihr Ehrgeiz und ihr starker Wille haben sie durchs Leben gebracht, sie angespornt und angetrieben und schließlich ihr Ziel erreichen lassen: eine Jägerin zu werden, die in der Enklave angesehen wird und deren Wort ein Gewicht hat. Schon während ihrer ersten Aufträge als Jägerin muss sich Zwei jedoch bald eingestehen, dass ihre Vorstellungen nicht der Wahrheit entsprechen. Ausgerechnet ihr Partner, der befremdliche Bleich, ist es, der Zwei die Augen öffnet und das loyale Mädchen zum Nachdenken bewegt. Zwei ist knallhart, eigenständig und gibt niemals auf; sie ist eben eine echte Kämpfernatur, die trotz allem auch eine weiche, sensible Seite hat. Während des Abenteuers lässt sie ihr Enklaven-Ich hinter sich und findet immer mehr zu sich selbst - und man begleitet die sympathische Protagonistin gern dabei! Die Geschichte bleibt durchweg spannend und schafft es mit vielen "Spannungshighlights" die Leser an die Seiten des Romans zu fesseln. Im ersten Teil sind es vor allem die brutalen, blutigen Kämpfe mit den Freaks - ja, hier wird aufgeschlitzt und verstümmelt - und die Geheimnisse der Enklave, die für aufregende Lesestunden sorgen. Das dunkle, unbekannte Setting der U-Bahn-Tunnel unterstützt die mitreißende Atmosphäre enorm! Obwohl man sich nach einiger Zeit selbst dabei ertappt, dass man gerne auf der Suche nach Nervenkitzel durch den Untergrund streift, ist der Ortswechsel im zweiten Teil des Romans eine gelungene Abwechslung. Plötzlich befindet man sich im Licht, auf der Oberfläche der Erde. Man sollte meinen, dass uns diese Welt bekannter vorkommt, aber Ann Aguirre hat auch aus ihr eine pure Gefahrenquelle geschaffen, die Spannung bis zum Schluss verspricht. Zwei ist ein runder Charakter mitsamt Stärken und Schwächen und kann damit bei uns Lesern auf ganzer Linie punkten. Wer will schon einen Endzeitroman mit einer perfekten Prinzessin lesen? Aber nicht nur Zwei wächst einem in rasantem Tempo ans Herz, auch die übrigen Figuren können mit ihren sowohl guten, als auch bösen Persönlichkeiten überzeugen. In "Die Enklave" ist nicht immer ganz klar, wer Freund und wer Feind ist. Eine deutliche Abgrenzung ist überhaupt nicht möglich! Wer noch ein paar Kapitel zuvor ein tödlicher Feind gewesen war, wird überraschend zum engen Verbündeten. Besonders beeindruckt hat mich die Figur um Bleich, Zweis Partner in der Enklave. Durch seine verschlossene Art macht er bereits zu Beginn des Romans schnell auf sich aufmerksam, doch es vergeht viel Zeit, bis man ihn und seine Geschichte wirklich kennenlernen darf. Fluch und Segen zugleich: Ann Aguirre schreibt in "Die Enklave" leicht verständlich, simpel und unkompliziert. Da das Buch die Geschichte aus Zweis Sicht der Dinge erzählt, ist dieser monotone Schreibstil genau die richtige Wahl, um die Geschehnisse authentisch zu schildern. Zwei genoss schließlich keine Bildung, kann kaum lesen und kennt nicht einmal alle Wörter - woher auch? In der ohnehin rückständigen Enklave ist Wissen ein wertvolles Gut, das nur wenigen zur Verfügung steht, und Zwei ist bloß zum Kämpfen ausgebildet worden! Obwohl er die Geschichte lebensechter erscheinen lässt, ist der außergewöhnliche Schreibstil für die Leser nicht immer ein Grund zur Freude: ab und zu kommt es vor, dass man einen ganzen Absatz noch einmal lesen muss, um zu verstehen, was Zwei sagen wollte. Dies kann leider dafür sorgen, dass man aus dem sonst so angenehmen Lesefluss herausgeworfen wird. Eine große Frage bleibt während der Geschichte leider unbeantwortet: Wie ist die Welt zu dem geworden, was sie in "Die Enklave" ist? Welche fürchterlichen Ereignisse sind geschehen, die die Städte zerstört und die Menschen in den Untergrund getrieben haben? Wie sind die schrecklichen Wesen entstanden, die Zwei und Bleich als "Freaks" bezeichnen? Während des Romans liefert Aguirre bloß vage Antworten, mit denen nur recht wenig anfangen kann. Dafür beschreibt sie in ihrem Nachwort ausführlich, wie sie sich die Hintergründe ihres Romans vorgestellt hat. Ann Aguirre belegt ihre Ideen sogar mit wissenschaftlichen Artikeln, um zu beweisen, dass ihre apokalyptische Vorstellung nicht gänzlich aus der Luft gegriffen ist. Erschreckend und beeindruckend zugleich, macht das Nachwort "Die Enklave" zu einem Buch, das im Gedächtnis bleibt. Cover: Schlicht, und doch passend. Das Cover ist düster und stellt eine Szene dar, die im Buch tatsächlich vorkommt. Für meinen Geschmack ist das Cover jedoch nicht dunkel genug für dieses schaurige Buch - die erschreckende Atmosphäre des Romans kann es nicht widerspiegeln! Fazit: "Die Enklave" von Ann Aguirre ist ein grandioser Endzeitroman, der in jeglicher Hinsicht überzeugt! Sowohl die Geschichte als auch die einzelnen Charaktere wurden von der Autorin so hervorragend beschrieben, dass man sich nach dem ersten Kapitel nicht mehr von den Seiten des Romans lösen konnte. Für den grausigen Start einer vielversprechenden Reihe gibt es sehr gute 4 Lurche.

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