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Sarang

Posted on 1.2.2020

"Kennst du die Matrix?, hatte Adil mich neulich gefragt. Genau so sei es hier in dieser Gesellschaft, meinte er. Du hältst das alles für real, dabei ist es nur Schein und Verblendung. Narkose. Irgendwann kommt Allah und zieht den Stecker. Plötzlich siehst du alles klar." - S. 135 »Inhalt« Jakob ist seit Neuestem Student. Eigentlich auch nur, weil Plan A scheiterte. Nun wohnt er zusammen mit seiner Freundin in einer fremden Stadt und fühlt sich auch sich selbst gegenüber fremd. Ziellos lebt er vor sich hin, bis er einer jungen, verschleierten Frau in einer Unterführung zu Hilfe eilen will, die von Rechtsradikalen bedrängt wird. Doch sie befreit sich auch ohne seine Hilfe und prompt ist Jakob von ihr fasziniert. Zumindest von ihren Augen, denn die sind das Einzige, das er von ihr sehen kann. Er beginnt zu recherchieren und kann kurz darauf ihre Identität ausfindig machen. Ihr Name ist Samira und sie leitet die Frauenhotline in ihrer islamischen Gemeinde. Jakob weiß nicht genau warum, aber er kann nicht anders, als dorthin zu fahren und sie noch einmal zu sprechen. Jakob ahnt nicht, dass er damit den ersten Schritt für eine neue Zukunft und ein neues Leben geht... »Der Wunsch nach einer freieren und friedlicheren Welt« Christian Linkers „Dschihad Calling“ hat mich geradezu überrannt. Bisher habe ich mich nie intensiv mit dem Islam auseinandergesetzt. Ich wusste grob, dass es verschiedene Richtungen gibt, einige radikaler als andere und der Koran unterschiedlich ausgelegt werden kann, Punkt. Ohne belehrend zu sein, hat „Dschihad Calling“ mir die Details und Hintergründe auf eine spannende Weise aufgeschlüsselt. Christian Linker hat es mit seinem Plot und der Gedankenwelt seines Protagonisten Jakobs geschafft, dass meine Gedanken vollkommen durcheinander gerieten. Ich habe intensiv nachgedacht; ja, bei dieser Lektüre geht es nicht anders. Ich habe erschrocken festgestellt, dass ich einige Punkte auf dem Weg der Radikalisierung nachvollziehen kann und sogar für sinnvoll erachte. Dass wir im Westen tatsächlich sehr materialistisch veranlagt sind durch den Kapitalismus, dass wir wirklich mehr auf unsere innere Stimme achten sollten und die Stille dafür hilfreich sein kann. Solche Punkte gestalten sich noch nachvollziehbar. Auch der Wunsch nach einer freien und friedlichen Welt, wer wünscht sich die nicht? Doch der Schritt von diesen Punkten zu dem Wunsch sich der IS anzuschließen, zu töten und getötet zu werden, um ins Paradies zu kommen, den hat Christian Linker so schleichend eingebaut, dass ich ihn recht spät wahrgenommen habe. Dabei habe ich äußerst aufmerksam und höchst gefesselt vor den Seiten gesessen und konnte es nicht glauben, dass ein Autor mich lediglich durch seine Geschichte in einen inneren Konflikt ziehen kann. »Abartig faszinierend« „Dschihad Calling“ mag kein leichter Tobak sein, dennoch liest es sich sehr flüssig und so abartig faszinierend brisant, dass ich es kaum noch weglegen wollte. Christian Linker verdichtet diese Geschichte, indem er zwei Perspektiven erzählen lässt und diese jeweils von hinten aufgerollt werden. So wissen die LeserInnen zu beginn, dass der Verfasser des Tagebuchs bereits tot ist und erzählt, wie er nach Syrien reiste und was er als Freiheitskämpfer bis zu seinem Tod erlebte. Außerdem ist die Ausgangslage bekannt, dass Jakob im Gefängnis sitzt und dieses Tagebuch liest. Dann beginnt die richtige Handlung und Jakob erzählt, wie er zum Studieren aus seiner Heimatstadt wegzog. Man könnte annehmen, dass durch diese Vorwegnahme des Ausgangs die Luft raus ist. Aber das ist absolut nicht der Fall, im Gegenteil. Jakobs Wandlung mitzuerleben ist das spannendste Leseerlebnis, das ich mir vorstellen kann. „Dschihad Calling“ beginnt ab diesem Moment nämlich recht harmlos, alles recht beschaulich und ich fragte mich, wie es so weit kommen konnte und dieses Leseerlebnis ist eines, das ich nicht missen möchte und jedem weiterempfehlen kann! »Angezogen von den Augen eines Menschen...« Auch für diejenigen, die sich eigentlich nur unterhalten lassen wollen. Tendenziell neige ich dazu, um solche Bücher einen Bogen zu schlagen, weil sie den Ernst des Lebens auf die Waage werfen und ich mich schnell von der Moralkeule umgeworfen fühle. Doch „Dschihad Calling“ ist trotz seiner Authentizität und seines ernsten Themas eine Lektüre, die bei mir genauso gut funktionierte wie eine Unterhaltungslektüre zum Entspannen. Ich könnte mir ebenfalls gut vorstellen, dass sich Christian Linkers Roman gut als Diskussionsgrundlage für Schulklassen eignet, trotz seines Umfangs. Oder auch als Begleitmaterial mit Auszügen. Das einzige Manko in dieser Geschichte ist vielleicht die Liebegeschichte. Sie ist die Basis, die Sachen primär ins Rollen bringen und  obwohl ich ein romantischer Mensch bin, kann ich es mir kaum vorstellen, dass bloß zwei Augen einen Menschen so faszinieren können, dass er dann die Dinge tut, die er in diesem Buch eben tut. Das ist jedoch eine Kleinigkeit und kein Aufhänger, der die Genialität dieses Buches unterwandern würde. »Fazit« Christian Linkers „Dschihad Calling“ demonstriert einen perversen Gegensatz zwischen Freiheit, Leben und Tod, setzt sich intensiv mit dem Islam auseinander und entführt die LeserInnen in eine spannungsgeladene Atmosphäre. Ein Buch, das ich uneingeschränkt empfehlen kann und das mich überraschenderweise vollkommen aus den Socken haute.

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