Simone Scamander
Worum geht's? Ismae wurde von Mortain, dem Gott des Todes, gezeugt. Als ihre Mutter während der Schwangerschaft versuchte, ihre eigene Tochter mit einem starken Gift zu töten, überlebte Ismae - den Rücken voller Narben, die sie als Tochter des Teufels zeichnen. Mit vierzehn Jahren gelingt ihr die Flucht aus ihrem bisherigen Leben, das sie gepeinigt, gefoltert und gebrochen hat. Sie findet Schutz in einem Kloster, das die Töchter Mortains aufnimmt und sie zu Auftragsmörderinnen ausbildet. Dort wächst Ismae zu einer entschlossenen und starken Frau heran, die sich nichts sehnlicher wünscht, als die rechte Hand des Todes zu sein und jene zu töten, denen Mortain sein dunkles Mal aufgetragen hat. Ihr letzter Auftrag als Novizin führt sie in das Herzogtum Bretagne, wo Ismae die junge Herzogin vor Leid bewahren und die Intrigen am Hof auflösen soll. Dabei steht ihr der Anhänger der Herrscherin zur Seite, Gavriel Duval, der Ismae als seine Mätresse ausgibt, um ihre wahren Absichten geheim zu halten. Damit ist die Auftragsmörderin allerdings unweigerlich an ihn gebunden, aber kann sie ihm auch trauen? Eines wird Ismae am Hof schnell klar: Hier spielt niemand ein ehrliches Spiel... Kaufgrund: "Grave Mercy: Die Novizin des Todes" fand zufällig den Weg zu mir. Cover und Klappentext haben mir nicht sonderlich viel von der Geschichte verraten, aber die vielen positiven Meinungen machten mich sehr neugierig auf dieses Buch. Meine Meinung: "Grave Mercy: Die Novizin des Todes" beginnt schlagartig und schmeißt den Leser mitten in das Geschehen: Die vierzehnjährige Ismae wurde von ihrem Vater für ein paar Münzen an einen Schweinehändler verkauft und wird nun gegen ihren Willen mit diesem vermählt. Die Geschichte legt bereits zu Beginn ein rasantes Tempo an den Tag und wirft aufregende Fragen auf, auf die man am liebsten sofort eine Antwort bekommen würde. Die Neugierde der Leser wird schnell geweckt und zwingt sie förmlich zum Weiterlesen. Jedes Mal, wenn man sich denkt "Nur noch ein Kapitel - dann ist Schluss!", beendet die Autorin ihr Kapitel mit einem kleinen Cliffhanger, der es einem verbietet, das Buch beiseite zu legen. Einige Kapitel später sind plötzlich drei Jahre vergangen. Ismae hat ihre Ausbildung zur Novizin des Todes abgeschlossen und darf sich ihren ersten Missionen stellen. Jetzt kommt die Geschichte erst richtig in Fahrt, muss sich aber auch ein paar langatmigen Momenten stellen. In den knapp 550 Seiten des Romans passiert unglaublich viel und es ist tatsächlich so, dass es keine einzige Szene gibt, in der Langeweile aufkommen könnte. Viel mehr ist es so, dass man während des Lesens eine Sehnsucht nach spannungsgeladenen Momenten entwickelt, die einen durch die ruhigeren Kapitel treibt und sie im Vergleich zum Rest der Geschichte eintöniger wirken lässt. Insgesamt bietet "Grave Mercy: Die Novizin des Todes" aber eine rundum gelungene Handlung, die einen an die Seiten fesselt, mitfiebern und -rätseln lässt. Bei "Grave Mercy: Die Novizin des Todes" handelt es sich um ein Jugendbuch, das sowohl fantastische als auch historische Elemente in sich vereint. Letztere nehmen den größten Teil der Handlung ein, sind allerdings erdacht und halten sich nicht an reale Ereignisse. Einen Abbruch tut dies der Geschichte jedoch nicht, im Gegenteil: durch die Freiheiten, die Robin LaFevers dadurch hatte, konnte sie genau dann spannende Momente in die Handlung einbauen, wenn sie sie gebraucht hat. Die fantastischen Elemente des Romans nehmen bloß einen kleinen, aber sehr wirkungsvollen Part der Geschichte ein: Die Menschen glauben nicht nur an Gott, sondern auch an Heilige, deren Kinder auf Erden über unglaubliche Fähigkeiten verfügen. So können die Töchter Mortains zum Beispiel schneller genesen als normale Menschen oder das Todesmal an anderen sehen, die ihnen Hinweise darauf liefern, wie eine Person sterben wird. Diese Idee hat mir ausgesprochen gut gefallen; so gut, dass ich mir gewünscht hätte, Robin LaFevers hätte sie noch intensiver in "Grave Mercy: Die Novizin des Todes" eingebaut. Zu Beginn und zum Schluss spielt der magische Teil eine große Rolle, doch während des langen Mittelteils kam er mir leider ein wenig zu kurz. Kaum hat man das Buch aufgeschlagen, wird man von einer langen Liste der verschiedenen Figuren überrascht, die in "Grave Mercy: Die Novizin des Todes" auftauchen. Ich muss zugeben, dass ich mich zu Beginn von dieser Namensflut etwas erschlagen gefühlt habe. So viele Charaktere - wie soll man da noch den Überblick behalten? Noch bevor ich mit dem Lesen begonnen hatte, war ich froh, eine (spoilerfreie) Übersicht zur Hand zu haben. Tatsächlich habe ich nicht einmal nachschauen müssen, wer hinter welchem Namen steckt. Der Autorin Robin LaFevers ist es toll gelungen, all ihren Figuren eine individuelle Aufgaben und Persönlichkeiten zu verleihen, sodass man sie trotz der Masse an Personen gut auseinanderhalten kann. Obwohl sich die Autorin bei der Gestaltung ihrer Charaktere große Mühe gegeben hat, kommen die Nebencharaktere in "Grave Mercy: Die Novizin des Todes" leider zu kurz. Während Herzogin Anna durchaus noch die Chance bekommt, sich als Romanfigur zu behaupten und sich in die Herzen der Leser zu stehlen, bleiben vor allem die Schwestern von St. Mortain, von denen ich mir sehr viel erhofft habe, viel zu blass. Besonders über Annith und Sybella, Ismaes Freundinnen, hätte ich gerne mehr erfahren. Dies ist allerdings nur als kleiner Kritikpunkt zu verstehen, denn Robin LaFevers schenkt Sybella in der Fortsetzung "Dark Triumph: Die Tochter des Verräters" eine eigene Geschichte, auf die ich mich bereits sehr freue! Ismae dagegen, die Protagonistin und Erzählerin des Buches, blüht im Verlauf der Handlung regelrecht auf und kann einen als Leser bereits auf den ersten Seiten für sich gewinnen. In ihrem jungen Leben musste sie bereits viel ertragen, was sie zu einem eingeschüchterten Mädchen machte, aber ihr willensstarkes Herz und ihren Wunsch zu leben hat sie nie verloren. Die Ausbildung im Kloster St. Mortain hat aus ihr innerhalb von drei Jahren eine selbstbewusste, disziplinierte und kämpferische Frau gemacht, die vor nichts und niemandem zurückschreckt und ihrem Heiligen, dem Todesgott Mortain, völlig verschrieben ist. Während ihres Abenteuers und ihrer ständigen Konfrontation mit dem Tod muss Ismae allerdings weitere Erfahrungen machen, die ihr vertrautes Weltbild abermals auf den Kopf stellen. Erfahrungen, die sie nach 17 Jahren endlich erkennen lassen, wer sie wirklich ist. Schuld daran ist vor allem Gavriel Duval, der Vertraute der Herzogin, dem Ismae während ihres Auftrags am Hofe zwangsläufig näher kommt. Er ist ein starker und loyaler Mann, der seiner Herzogin treu ergeben ist - oder zumindest einen solchen Anschein erweckt. Er ist einer jener Figuren, der viele Frauenherz weich werden lässt, ein wortgewandter Schönling, der in meinen Augen einen viel zu glatten Eindruck hinterließ. Robin LaFevers hat sich auch bei seinem Charakter viel Mühe gegeben, die man deutlich spüren kann. Dennoch stand ich ihm von Anfang an eher skeptisch gegenüber. Es dauerte einige Zeit, bis ich ihn als Person einschätzen und mögen konnte. Ein weiteres tolles Extra ist die wunderbar gezeichnete Karte des Herzogtums Bretagne, die auf den ersten Seiten des Taschenbuches zu sehen ist. Sie hilft dem Leser, sich vorstellen zu können, wo sich die Geschichte abspielt und welche Strecken Ismae auf ihrem Abenteuer zurücklegt. Außerdem befindet in der Karte eine weitere, kleinere Landkarte, die zeigt, wo genau in Europa das Herzogtum Bretagne liegt. Besonders Geografie-Nieten werden dankbar für dieses Extra sein! Robin LaFevers Schreibstil passt super zu einem Roman mit historischem Setting, ohne dabei den Bezug zum Jugendbuch zu verlieren. Sie schreibt in einem gehobenen Ton, lässt ihre Figuren standesgemäß sprechen und lässt keine allzu modernen Worte mit in ihren Text fließen. Nichtsdestotrotz ist ihr Schreibstil flüssig und leicht, locker und angenehm und verströmt keine übermäßige historische Atmosphäre, die einen beim Lesen stören könnte. Cover: Manchmal ist es eben doch die richtige Entscheidung, das Originalcover beizubehalten. Die Gestaltung mitsamt dem entschlossenen Mädchen, ihrer Armbrust, der riesigen Festung im Hintergrund und dem eindrucksvollen Schriftzug ist definitiv ein Hingucker! Fazit: "Grave Mercy: Die Novizin des Todes" von Robin LaFevers ist ein spannungsgeladener Auftakt einer vielversprechenden Reihe, der eine gelungene Mischung aus fantastischen und historischen Elementen bietet. Die Autorin schafft eine mitreißende Atmosphäre, die einen an die Seiten fesselt und dazu drängt, die beinahe 550 Seiten in Windeseile durchzuschmökern. Dieser Roman ist eindeutig ein Garant für aufregende und unterhaltsame Lesestunden, den ich nur wärmstens weiterempfehlen kann! Bloß die etwas schwächelnden Nebencharaktere halten mich davon ab, die volle Lurchzahl zu vergeben. Deshalb gibt es für "Grave Mercy: Die Novizin des Todes" insgesamt 4 Lurche!