Simone Scamander
Worum geht's? Julia und ihre Familie sind reich, leben glücklich und zufrieden in einem großen Anwesen in dem schönsten und teuersten Teil der Stadt. Das ist zumindest die Geschichte, die Julia an ihrer neuen Schule erzählt hat, um dazu zu gehören. Nun ist sie ein Teil der beliebtesten Clique der Schule und ist sogar mit dem attraktiven Felix zusammen. Aber je mehr Zeit Julia mit ihnen verbringt, desto tiefer verstrickt sie sich in ihrem Netz aus Lügen, das ihr früher oder später zum Verhängnis werden könnte. Es ist so anstrengend, dieses Märchen aufrecht zu erhalten! Dabei will Julia doch nur ein bisschen Anerkennung, ein offenes Ohr, eine Schulter zum Anlehnen. Jemanden, der sie so akzeptiert, wie sie ist, ganz egal, wo sie wirklich wohnt und wie arm sie ist. Denn nach dem Tod ihres Vaters hat sie alles verloren. Da ihre Eltern nicht verheiratet waren und kein Vaterschaftstest existiert, der beweisen würde, dass Julia seine Tochter ist, erbt ihr gieriger Stiefbruder Justin das gesamte Vermögen. Ein Kampf um das Erbe scheint sinnlos, aber dann taucht Niki in Julias Leben auf, der Außenseiter, der ihr seit seit ihrem ersten Tag an der neuen Schule nicht mehr aus dem Kopf geht. Er hat eine Nachricht von ihrem Großvater für sie, die ihr gesamtes Leben verändern könnte. Doch Julias Großvater ist tot. Kaufgrund: Auf "Zwischen Ewig und Jetzt" bin ich durch das wundervolle Cover aufmerksam geworden. Ich brauchte den Klappentext gar nicht zu lesen, um zu wissen: Dieses Buch muss um jeden Preis in meinem Regal einziehen! Ich muss allerdings zugeben, dass auch der Klappentext mich sehr neugierig gemacht hat... Meine Meinung: Lange habe ich mich auf dieses Buch gefreut. Das Cover hat mich auf den ersten Blick begeistert und auch der Klappentext klang vielversprechend. Umso größer war schließlich meine Enttäuschung, als ich die ersten Seiten von "Zwischen Ewig und Jetzt" gelesen hatte und von einer riesigen Ladung stereotyper Jugendbuchaspekte überrollt wurde. Die Protagonistin ist neu auf der Schule und bemüht sich darum, ihre schlimme Vergangenheit für sich zu bewahren, und verhält sich eher ruhig und zurückhaltend - bis sie IHN erblickt, den geheimnisvollen und mysteriösen Außenseiter, der ein dunkles Geheimnis mit sich trägt. Ein einziger Blick genügt und sie weiß: Er ist es, er ist die Liebe ihres Lebens! Puh, da wurde meine Lust aufs Weiterlesen ganz schön auf die Probe gestellt. Trotzdem las ich weiter, denn ich wollte unbedingt wissen, was die begeisterten Stimmen an "Zwischen Ewig und Jetzt" gefunden hatten. Je weiter die Handlung voranschreitet, desto offensichtlicher wird es: "Zwischen Ewig und Jetzt" packt! Die Geschichte strotzt zwar nicht vor Spannung, aber mitreißen kann sie allemal. Man möchte um jeden Preis wissen, wie es mit Julia weitergeht, und nimmt sich deshalb gerne die Zeit zum Weiterlesen. Mit jeder umgeblätterten Seite steigt die eigene Begeisterung. Dies liegt vor allem an der positiven Entwicklung der Geschichte, die einen den schwierigen Start beinahe vergessen lässt. Denn hinter "Zwischen Ewig und Jetzt" steckt viel mehr als sie typische Handlung, die man bereits in unzähligen Varianten in anderen Romanen gelesen hat. Es ist eine Geschichte über die Schwierigkeiten des Erwachsenwerdens, über die erste große Liebe und wie verwirrend sie sein kann, über den Wunsch dazuzugehören und vor allem über die wichtige Frage, die sich jeder mehr als einmal im Leben stellen muss: Wer bin ich überhaupt? Und wer will ich sein? Autorin Marie Lucas hat diese Motive ihrer Geschichte sehr jugendlich behandelt und wird damit auf jeden Fall den Nerv der 14- bis 16-jährigen LeserInnen treffen. Für ältere Generationen wird "Zwischen Ewig und Jetzt" an einigen Stellen sicherlich zu spitz, zu übertrieben wirken, aber gefallen wird es ihnen dennoch - schließlich waren wir alle einmal in dem komplizierten Alter, in dem wir von unseren Gefühlen nicht mehr als pures Chaos erwarten konnten (und häufig wachsen wir aus diesem Alter auch gar nicht heraus!). Der paranormale Teil der Geschichte über die Geister der Verstorbenen kommt neben all den Teenie-Problemen nicht zu kurz, sondern nimmt einen ganz entscheidenden Part innerhalb es Romans ein und bringt die Handlung erst zum Rollen. Da man die Geister nur indirekt zu lesen bekommt und nur Niki mit ihnen kommunizieren kann, entwickelt man den umherirrenden Seelen gegenüber schnell ein sehr distanziertes, wenn auch definitiv interessiertes Verhältnis. Anfangs sind Nikis Dialoge mit den Geistern, die auf die Leser eher wie Monologe wirken, etwas schwierig nachzuvollziehen, aber man gewöhnt sich recht schnell daran und ist gespannt auf die nächste geisterhafte Begegnung. Die 16-jährige Julia ist die Protagonistin und Erzählerin der Geschichte. Nach dem Tod ihres Vaters hat sie alles verloren. Nicht nur ihren Papa, auch ihr Zuhause, ihre Freunde und sogar ein Stück von sich selbst. Da ihre Eltern nicht mit einander verheiratet waren und auch kein Schriftstück existiert, das beweist, dass Julia seine Tochter ist, hat sie nicht einmal ein Anrecht auf einen Teil des Erbes. Julia hatte es in ihrem Leben wahrlich nicht leicht und deshalb ist es auch kein Wunder, dass sie an ihrer neuen Schule ein Lügenmärchen nach dem anderen erzählt, um sich interessant zu machen. Obwohl sie sehr naiv ist und ich einige ihrer Entscheidungen nicht ganz nachvollziehen konnte, wuchs mir Julia recht schnell ans Herz. Sie ist ein liebenswertes Mädchen, deren Fehler sie noch sympathischer machen. Sie möchte bloß normal sein, sich geborgen fühlen, jemandem zum Reden haben und hegt mit ihren Lügen keinesfalls böse Absichten. Wer kann ihr da schon böse sein? Im Verlauf der Geschichte muss sie allerdings auch selbst die Erfahrung machen, dass man es mit Lügen nicht weit bringen kann. Ähnlich wie bei Julia hatte ich den Nebencharakteren gegenüber zunächst ein eher ungutes Gefühl. Sowohl ihre Clique als auch ihr Freund Felix und Niki, der ihr nicht mehr aus dem Kopf geht, erschienen mir von Anfang an wie klischeehafte und oberflächliche Figuren. Doch wie auch bei der Handlung wurde ich von den meisten Nebencharakteren im Geschichtsverlauf positiv überrascht. Während die Clique durchweg platt und durchschnittlich bleibt (allerdings bewusst!), wuchsen mir Felix und Niki mit der Zeit ans Herz. Felix ist absolut nicht der oberflächliche Schnösel, für den man ihn schnell hält, sondern ein ehrlicher und aufrichtiger, wenn auch nicht fehlerfreier Mensch, der ohne zu zögern über seinen Schatten springen würde, wenn es darauf ankommt. Der zurückhaltende und emotionale Niki dagegen ist zwar nicht so extrovertiert wie Felix, aber insgesamt doch ein sehr liebenswerter junger Mann. Es ist nicht nur seine Gabe, mit den Toten zu sprechen, die ihn so interessant macht, sondern auch seine sensible und zugleich starke Art. So sympathisch mir Julia im Verlauf der Geschichte auch geworden ist, mit ihren verworrenen Gefühlen hat sie auch einige Minuspunkte gesammelt. Dabei kann ich absolut verstehen, warum sie durcheinander ist! Welches Mädchen würde keine weichen Knie bekommen, wenn gleich zwei junge Männer, beide auf ihre eigene Weise attraktiv und anziehend, um ihre Gunst buhlen? Dies rechtfertigt allerdings nicht, wie Julia mit Niki und Felix umgeht. Sie kann sich nicht entscheiden - will es auch gar nicht! - und knutscht kurzerhand mit demjenigen herum, der gerade Zeit mit ihr verbringt, ganz egal, mit wem sie in diesem Moment eigentlich zusammen ist (und das ändert sich im Verlauf der Geschichte gefühlte zehn Mal!). An einer Stelle kommt es sogar soweit, dass Julia beide Jungs nacheinander und voreinander küsst! Sorry, Julia, aber nur weil sich dein Herz nicht entschieden will, bedeutet das noch lange nicht, dass du so mit Herzen spielen darfst... Nach der letzten Seite bleibt man erst einmal mit vielen offenen Fragen zurück. Das soll es etwa gewesen sein? Oder darf man doch noch eine Fortsetzung erwarten? Aus der Geschichte selbst wird man diesbezüglich nicht schlau. Die große Gefahr ist gebannt, die Julia, Niki und Felix in Atem gehalten hat, aber sonst bleiben die meisten Handlungsstränge ungelöst. Fortsetzung hin oder her - ein paar Antworten mehr hätten dem Abschluss von "Zwischen Ewig und Jetzt" durchaus gut getan! Marie Lucas Stil ist einfach und schlicht, leicht zu lesen und sehr jugendlich. Zu Beginn konnte ich mich nicht sonderlich für ihn begeistern, denn die Autorin schreibt häufig sehr abgehackt und bringt damit den Lesefluss immer wieder ins Stocken. Je länger man liest, desto weniger stört man sich jedoch an den knappen Sätzen. Später fügen sie sich sogar sehr harmonisch in das gesamte Schriftbild ein, sodass man sich voll und ganz von dem Schreibstil der Autorin mitreißen lassen kann. Cover: Wenn man sich in dieses Cover nicht auf den ersten Blick verliebt, dann weiß ich auch nicht! Es ist so liebevoll und detailreich gestaltet, dass ich es den ganzen Tag anstarren könnte. Ein großes Lob an die Grafiker - wow! Fazit: "Zwischen Ewig und Jetzt" von Marie Lucas ist ein amüsanter Jugendbuchroman, der nach einem schwierigen Start noch einiges herausreißen kann. Spätestens nach dem zweiten Teil ist man von der Geschichte gefesselt und möchte unbedingt wissen, wie es weitergeht! Richtig spannend wird es zwar erst zum Schluss, aber das Buch packt auch ohne turbulente Geisteraustreibungen. Ob wir wohl eine Fortsetzung erwarten können? Die vielen offenen Handlungsstränge lassen dies auf jeden Fall vermuten! Auch die Figuren wachsen einem mit der Zeit ans Herz und können im Geschichtsverlauf mit neuen Facetten überzeugen. Julia, Felix und Niki sind nicht die oberflächlichen und stereotypen Charaktere, für die man sie nach den ersten Seiten halten mag. "Zwischen Ewig und Jetzt" zählt eindeutig zu den Romanen, bei denen es sich lohnt, durchzuhalten! Ich vergebe knappe 4 Lurche.