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Simone Scamander

Posted on 31.1.2020

Worum geht's? Bonnie Rae Shelby lebt das Leben, von dem so viele träumen: Sie ist eine gefeierte Popsängerin, tourt um die Welt, hat eine riesige Fangemeinde und mehr Geld, als sie jemals ausgeben können wird. Finn Clyde dagegen hat nichts in seinem Leben erreicht. Im Gegenteil: Er will seine Vergangenheit hinter sich lassen, mit den Schatten abschließen, die ihn auf Schritt und Tritt begleiten. In Las Vegas will er ganz neu anfangen. Doch auf dem Weg dahin sieht er eine junge Frau, die am Rande einer Brücke steht. Sie will springen. Finn hält sie in letzter Sekunde auf und nimmt sie mit, ohne zu wissen, dass er einen berühmten Popstar vor dem Tod bewahrt hat. Und so beginnt der Roadtrip von Bonnie und Clyde… Meine Meinung: In „Unendlich wir“, ihrem zweiten Roman auf dem deutschen Buchmarkt, nimmt Amy Harmon ihre Leser mit auf einen lebhaften und gefühlvollen Roadtrip zweier ganz besonderer Helden. Bonnie, die junge Sängerin, hat bei einer Casting-Show gewonnen und räumt seitdem einen Musikpreis nach dem anderen ab. Sie ist reich, beliebt, wunderschön, doch hinter den Kulissen ist Bonnie eine junge Frau, die aus schwierigen Verhältnissen stammt. Die ihre Zwillingsschwester, ihre andere Hälfte, verloren hat. Für Finn Clyde zählen, seit er denken kann, nur Zahlen. Er sieht sie immer und überall und hat ein wahnsinniges Talent, für das nur sein Vater Verständnis gezeigt hat. Aber auch die Zahlen haben Finn nicht verraten, dass sein Bruder Fish sterben wird und er es hätte verhindern können. Sowohl Bonnie als auch Finn sind zwei Personen, die jeweils ihr eigenes Päckchen zu tragen haben. Sie kommen aus verschiedenen Welten, die gegensätzlicher kaum sein könnten, und haben dennoch mehr Gemeinsamkeiten, als sie zunächst glauben. Es scheint schon fast, als hätte das Schicksal ausgerechnet die beiden zusammengeführt, um sie miteinander wachsen zu lassen. Bonnie und Finn waren mir beide auf ihre Weise auf Anhieb sympathisch und ich habe von Herzen gerne verfolgt, wie die beiden sich auf ihrer seltsamen Reise kennenlernen, wie sie voneinander helfen, sich stützen – wie aus ihnen „Wir“ wird. Sie sind beide so lebendige, echte, warmherzige Figuren, dass ich ab der ersten Seite für ein Happy End der beiden gebetet habe. Wenn man bedenkt, dass „Unendlich wir“ von einem Zeitraum von nicht einmal zwei Wochen erzählt, scheinen einige ihrer Entscheidungen und Handlungen natürlich sehr spontan und unbedacht, aber ich habe Bonnie und Clyde jede Tat, jede Emotion abgekauft und mit ganzer Seele mitgefiebert. Amy Harmon nutzt in „Unendlich wir“ drei verschiedene Erzählperspektiven, um ihre Geschichte aus allen Blickwinkeln zu beleuchten. Der Großteil der Handlung wird von Protagonistin Bonnie Rae persönlich erzählt, wodurch man sie mitsamt all ihren Gedanken und ihrer wilden Gefühlswelt kennen und verstehen lernt. Finn Clyde dagegen lernt man durch einen außenstehenden Erzähler kennen, der ganz genau über das logische Zahlenchaos zu berichten weiß, das in Finns Innerem wütet. Außerdem lässt die Autorin immer mal wieder kleine Nachrichtenartikel einfließen, die einen als Leser wissen lassen, was um die beiden Protagonisten herum passiert und was die Öffentlichkeit von Bonnie und Clyde hält. Die Mischung macht’s: Jede Erzählweise erlaubt einen anderen Einblick, steckt aber stets voller Gefühl und Persönlichkeit. Das Motiv von Bonnie und Clyde hat mir in „Unendlich wir“ unheimlich gut gefallen. Das berühmte Verbrecherpärchen, das in den 30ern in Amerika für jede Menge Trubel gesorgt hat, scheint mit Bonnie und Clyde aus „Unendlich wir“ zunächst nur die Namen gemein zu haben. Ein lustiger Zufall, über den sich auch die Figuren amüsieren. Je weiter die Handlung jedoch voranschreitet, desto stärker wachsen sie in diese Rollen hinein, auch wenn aus ihnen natürlich kein kriminelles Pärchen wird, wie es die Medien um sie herum darstellen. Ihr Roadtrip entwickelt sich aber zu einer Flucht: teilweise vor dem Gesetz, aber viel mehr vor denen, die ihr Leben bisher bestimmt haben, und vor sich selbst. Sie fliehen vor der Vergangenheit in eine Zukunft, die sie endlich als diejenigen leben lässt, die sie wirklich sind. Schon in „Vor uns das Leben“ ging es teilweise sehr pathetisch zu. Dennoch hatte ich in der Geschichte von Fern, Ambrose und Bailey niemals das Gefühl, dass die Tragik falsch platziert oder gar zu stark dramatisiert werden würde. In „Unendlich wir“ jedoch ertappte ich mich das eine oder andere Mal dabei, wie ich beim Lesen beinahe die Augen verdreht hätte. Amy Harmon wirft einige Themen auf, die jeweils nur kurz angeschnitten werden und die für mich nicht in das sonst so runde Konzept der Geschichte hineinpassen wollten. Musste dies wirklich sein? Hätte sie auf jenes Klischee nicht verzichten können, um den wichtigen Motiven des Romans mehr Raum zu lassen? Diesmal erschien es mir so, als hätte Amy Harmon nicht immer die richtige Balance gefunden. Beim Lesen selbst störten mich diese Momente zwar nur kurz, aber den Gesamteindruck trübten sie leider trotzdem. Fazit: Ein Roadtrip mitten durchs Herz! Mit „Unendlich wir“ gibt es endlich Lesenachschub von Amy Harmon! Mit ihrer modernen Inszenierung der Geschichte von Bonnie und Clyde konnte die talentierte Autorin mein Herz wieder höher schlagen lassen. Ich liebe ihren ausdrucksstarken Schreibstil, ihre tragischen und doch so wunderschönen Geschichten, die sie mit so viel Gefühl und Leben zu erzählen versteht. „Unendlich wir“ steckt voller Überraschungen, die zwei starke und authentische Protagonisten bis über ihre Grenzen hinaus fordern und wachsen lassen. Ein Roman, wie ihn nur Amy Harmon schreiben kann! Für „Unendlich wir“ vergebe ich 4 Lurche.

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