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Bris Buchstoff

Posted on 31.1.2020

Ein weiterer Blickwinkel Im zweiten Band von Jane Gardams Old-Filth-Trilogie um Edward Feathers, der als Raj-Waise mit fünf Jahren aus seiner gewohnten Umgebung nach England in eine Pflegefamilie gesteckt wurde, dort mehr Züchtigung als Liebe erfuhr, wegen für die Leserschaft noch ungeklärter Umstände aus der Familie heraus in ein Internat kam, das zumindest ein wenig Heimat versprach, um schlussendlich als Kronanwalt in Hong Kong Karriere zu machen und eine junge Frau kennen zu lernen, steht eben diese junge Frau im Zentrum des Geschehens. Jane Gardam wendet sich also nun der Frau zu, die bereits zu Beginn des ersten Bandes plötzlich und erwartet bei der von ihr geliebten Gartenarbeit verstirbt und die scheinbar einzige, wahre Liebe Edwards war. Die Tatsache, dass Betty ihre Ehe mit Edward aufgrund ihres Ablebens nicht mehr aktuell beleuchten kann, ist ein smarter Kniff Gardams. Denn gerade dadurch verleiht sie sowohl der Geschichte, als auch den einzelnen Figuren, Tiefe und Charakter, ohne den Plot in die Gegenwart oder Zukunft zu erweitern. Der Rahmen der gesamten Handlung der beiden Bände, beziehungsweise auch des dritten, ist von vornherein abgesteckt. Es geht hier um die Lebensgeschichten von hauptsächlich drei Personen, die aber natürlich Verbindungen zu weiteren Menschen haben. Und diese Verbindungen, häufig sehr enge, wie man in der weiteren Lektüre entdecken kann, decken Dinge auf, die die im ersten Roman der Trilogie geschilderten Ereignisse in ein anderes Licht rücken. Die Leerstellen, die jedes Leben für andere Menschen haben muss, werden gefüllt und legen so mehrere Realitäten übereinander. Ähnlich mehrerer Folien, die jeweils nur einen Teil eines Ganzen in unterschiedlichen Farben darstellen und durch das übereinanderlegen ein buntes kompletteres Bild ergeben. Kompletter und nicht völlig komplett deshalb, weil da immer noch Leerstellen sind, die sich im Wissen um die Gefühle und Gedanken eines anderen Menschen zwangsläufig ergeben müssen. Das ist existentialistisch betrachtet unvermeidbar. Nie können wir die tatsächlichen Gedanken eines Menschen in Gänze erfahren, wenn dieser Mensch es nicht möchte – und so geht es auch Edward und Betty. Edward, der aufrichtige junge Mann, der mich persönlich bei unserem ersten literarischen an John Williams Protagonisten William Stoner erinnerte, erkennt wohl in der jungen Betty eine verwandte Seele – ist sie doch, wie er, in einer anderen Welt aufgewachsen. Betty vergisst manchmal sogar, dass China nicht wirklich ihre Heimat ist. Und so verbindet die beiden zunächst vor allem die Liebe zu ihren gefühlten Heimatländern im fernen Osten. Als Edward Betty auf Briefpapier seiner Anwaltskanzlei einen Heiratsantrag macht, ist bereits klar, dass er nicht unbedingt zu absoluter Romantik fähig ist. Doch er bittet sie, ihn auch nur zu heiraten, wenn sie ihm versprechen kann, ihn niemals zu verlassen. Und da Betty eine durchaus loyale junge Frau ist, hält sie sich an ihre Zusagen, auch wenn ihr kurz danach das Schicksal in Form von Terry Veneering durchaus einen Stolperstein in den Weg legt. Auch als Edward mehrere Tage nachdem Betty seinen Antrag angenommen hat, nicht erreichbar und obwohl Veneering wohl so etwas wie die Liebe ihres Lebens ist, hält sie an ihrem Versprechen fest. Was das alles heißt und welche Auswirkungen das sowohl auf ihren, als natürlich auch auf Edwards weiteren Lebensweg haben wird, das zeigt Jane Gardam in der ihr ganz eigenen Weise, Dinge doppelbödig erscheinen zu lassen, die es nicht sind und eindeutige Situationen so auszuleuchten, dass die Leserschaft immer tiefere Einblicke auch in die Geschehnisse des ersten Romans erhält. Das ist brillant, charmant und sprachlich gewandt – auch dank der wiederum mit feinem Fingerspitzengefühl ausgeführten Übertragung ins Deutsche durch Isabel Bogdan – und macht süchtig. Dabei entsteht eine Tiefe, die nicht daher rührt, dass komplett andere Geschichten erzählt werden, sondern, dass vermeintlich bekannte Situationen aus einem anderen Blickwinkel mit zusätzlicher Information ausgeschmückt werden. Dabei beherrscht Gardam die Kunst der Unverhersehbarkeit perfekt und zeigt uns Leser*innen, die gedacht hatten, sie hätten zumindest ein wenig von dem verstanden, was Edward und Betty zusammenhält, das nicht mal ein bisschen davon wahr sein muss. Dinge, die man nicht ändern kann, soll man laut einem weisen Spruch gelassen hinnehmen, Dinge, die man ändern kann, mutig anpacken und vor allem muss man klug genug sein, beides voneinander zu unterscheiden. Und so scheinen es Edward und Betty für mich auch getan haben. Dinge, die allerdings zu schmerzhaft sind, um analysiert zu werden, bleiben für den jeweils anderen, nicht aber für die Leserschaft, im Dunkeln. Und so fühlt man sich bei der Lektüre zwar nicht als Voyeur, aber doch als privilegiert. Das wiederum zeigt, wie sehr Gardam ihre Leser*innen schätzt, ohne sich anzbiedern und ist die Basis für eine wunderbare Freundschaft. Man kann Eine treue Frau ohne weiteres als ersten Roman der Old-Filth-Trilogie lesen, allerdings verpasst man meiner Meinung nach dadurch ein bisschen etwas. Was aber auf jeden Fall klar ist, ist die Tatsache, dass man das Buch kaum aus der Hand legen mag und mit beendeter Lektüre sofort in den dritten Band einsteigen möchte – so jedenfalls ist es mir ergangen. Eine großartige, kluge und gleichermaßen unterhaltsame Lektüre, die lange nachhallt.

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