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Bris Buchstoff

Posted on 31.1.2020

Die ersten beiden Bände der grandiosen Old-Filth-Trilogie von Jane Gardam befassten sich mit der untadeligen Ehe von Eddie und Beth Feathers, in der – so die Gerüchteküche – noch ein Dritter eine Rolle spielte. Terry Veneering, der große Rivale von Eddie Feathers, der in „Ein untadeliger Mann“ und „Eine treue Frau“ immer mal wieder auftauchte, gerät in „Letzte Freunde“ direkt in den Fokus des Geschehens. Viel weiß man nicht über ihn. Um seine Herkunft ranken sich viele Gerüchte, war der Vater ein russischer Spion, die Mutter eine einfache Kohlenhändlerin? Und wie konnte sich Terry dann zu dem entwicklen, was er ist: ein lässiger, witziger Staranwalt, zwar ein Parvenü, aber ein aufgrund seines Könnens erfolgreicher … All dies und was zwischen Beth und Terry tatsächlich geschah und auch das ein oder andere Geheimnis um Eddie und seine Vergangenheit, präsentiert Gardam in gewohnt gekonnter Manier. Terry Veenering näher kennenzulernen ist ein zweischneidiges Schwert für mich gewesen. Einerseits war er in den vorangegangen zwei Bänden der Old-Filth-Trilogie die Figur gewesen, die mir am wenigstens klar war, was sicherlich auch das Ansinnen der Autorin war und daran liegt, dass er nur kleinere „Gastauftritte“ hatte. Andererseits aber ist diese dritte Perspektive auf das Leben von Edward, Betty und den anderen Menschen, die für sie eine Rolle spiel(t)en, wiederum Horizont erweiternd. Und dabei wird noch eine andere Seite der britischen Geschichte aufgeschlagen. Heeringflett – die Heimat Veneerings, der eigentlich Benson heißt – ist keine reiche Gegend. Auch seine Familie ist arm, seine Mutter eine Kohlenhändlerin, sein Vater ein Kosake, der vor Jahren mit seiner Truppe von Tänzern und Akrobaten gekommen war, um die Einwohner von Heeringfleet mit einer anderen Welt in Berührung zu bringen. Terrys Mutter war noch ein junges Mädchen und fasziniert von den Fremden, ihrer Art, ihrer Akrobatik und als eines Abends etwas Unvorhergesehenes passiert, ist Florries Schicksal besiegelt. In dieser Woche war sie jeden Abend dort, und am letzten Abend stand sie neben ihm auf der Plattform, als er vom Seil fiel. Sie rief nach einem Arzt, sie brüllte mit ihrer Löwenstimme. Die Leute schienen sie für seine Frau zu halten. Sie wich nicht von seiner Seite. [..] „Der Rücken ist kaputt“, sagten sie ihr. „Durchgebrochen. Der wird nie wieder laufen.“ Florrie muss nicht nur für sich selbst und den Kosaken – zumindest nimmt man an, er wäre einer – kämpfen und arbeiten, sondern später auch für ihr einziges Kind – Terry Veneering, der sicherlich, um seine Identität und die Tatsache aus ärmlichsten Verhältnissen zu stammen vergessen zu können, seinen Namen Benson in Veneering änderte. Allerdings ändert er ihn so ab, dass der Name seines Vaters noch ein wenig erkennbar bleibt. Doch trotz der Armut achtet Florrie stets darauf, dass ihr Sohn zur Schule geht und fleißig lernt – sie tut alles für ihn. Eine unglaublich starke Frau, die sogar über ihren eigenen Schatten springt, um ihrem Sohn ein besseres Leben zu ermöglichen. Und das wird er haben, er wird reich sein, eine schöne Frau haben, aber nicht ungedingt glücklich werden. Beth wird ihm über den Weg laufen, aber zu spät. Zu spät für sie, weil sie ja ihr Versprechen an Edward Feathers, ihn nie zu verlassen, gebeben hat und halten will und zu spät für Terry, weil er vielleicht nicht an seine Frau, wohl aber an seinen Sohn gebunden ist. Und dieser Sohn ist es, der die Verbindung zwischen Terry und Beth tatsächlich darstellt, der auch ein wenig der Grund für die kinderlose Ehe der Feathers ist und letztendlich nicht ganz unschuldig an Beths Tod im Tulpenbeet ist. Von dieser Verstrickung weiß Edward nichts – genauso wenig, wie Beth davon weiß, was Edward in der Zeit nach dem von ihr angenommenen Antrag erlebt hat. Diese zwei Wochen sind wohl die einschneidendsten in ihrer beider Leben – und hätte es den Antrag und seine Annahme nicht gegeben, so wären nicht nur ihre Lebenslinien ganz anders verlaufen. Und genau diese zwei Wochen sind sowohl für Beth, als auch Edward blinde Flecken in der Geschichte des jeweils anderen. Der Leserschaft aber beschert Jane Gardam mit dem Abschlussband der Trilogie eine weitere Einsicht und damit auch das Gefühl, zu verstehen, dass alles immer eine Frage von Perspektive ist. Das ist überraschend, spannend und niemals langweilig. Sprachlich, stilistisch, konzeptionell ein Kleinod, wunderbar übertragen von Isabel Bogdan – wie in den beiden Vorgängerbänden auch – dazu ist nicht viel mehr zu sagen. Absolute Lieblingsbücher, absolute Leseempfehlung.

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